Musik an sich


 
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Antonin Dvorak - Stabat Mater op. 58
(Deutsche Grammophon)
Klassik/Oratorium

 
"Solch ein Mensch, solch eine Seele - und er glaubt an Nichts, er glaubt an Nichts!" - so Antonin Dvorak nach einem Gespräch mit Johannes Brahms über Glaube und Religion. Der tiefreligiöse Komponist, der vom zeitgeistigen Intellektualismus und Skeptizimus des 19. Jahrhunderts seltsam unberührt geblieben war, konnte nicht verstehen, daß es der Schöpfer des "Deutschen Requiems" mehr mit Schopenhauer als mit dem Katechismus hielt.
Dennoch nimmt die geistliche Musik in Dvoraks Schaffen keinen großen Raum ein. Für das Stabat Mater griff er auf eine mittelalterliche Sequenz zurück, die wegen ihres geradezu dramatischen, dabei höchst differenzierten Ausdrucksgehalts Komponisten von Josquin bis Franz Liszt inspiriert hatte. In diesem Fall hatte die Vertonung der berühmten Klage Mariens unter dem Kreuz allerdings noch einen tragischen Hintergrund: Binnen eines Jahres waren drei Kinder des Komponisten gestorben. Mochte die Trauer über diesen schrecklichen Verlust auch der unmittelbare Anlaß für das Werk sein, so gelang es Dvorak hier zugleich, seinen persönlichen Schmerz und seine Glaubensgewißheit im Medium der Musik ins Allgemeine zu wenden. Der augenblickliche Erfolg, den das Oratorium seit seiner Uraufführung im Dezember 1880 in Prag errang, zog eine nicht weniger erfolgreiche Serie von Konzerten in ganz Europa nach sich.
Obwohl das Werk auch im aktuellen Klassikkatalog mit rund einem halben Dutzend Einspielungen nicht gerade unterrepräsentiert ist, legt die Deutsche Grammophon nun einen Konzertmitschnitt vom April 2000 aus der Sächsischen Staatoper unter Guiseppe Sinopoli vor. Dass die Veröffentlichung mit dem Zeitpunkt seines plötzlichen Todes nahezu zusammenfiel, verleiht dieser Aufnahme, wenn auch unfreiwillig, einen eigentümlichen Rang als Vermächtnis des Dirigenten und Begräbnismusik. Doch auch ohne eine derartige Auratisierung vermag die vorliegende Produktion durchaus zu überzeugen: Sinopolis konventioneller Ansatz eröffnet dabei keine grundsätzlich neuen Perspektiven auf die Musik sondern betont das, was man heute gerne als die "spätromantisch-monumentale Seite" eines solchen Werkes bezeichnet. Trotz des Vibratos, der eher breiten Tempi und orchestralen Opulenz gerät die Musik dabei glücklicherweise nicht selbstgefällig-weihevoll oder gar konturlos. So entgeht auch das echte Pathos, das Dvorak in seine Musik hineingelegt hat, dem Hang zum Sentimentalen. Wesentlichen Anteil daran hat das Spiel der Staatskapelle Dresden, das die trotz der reichen Instrumentierung etwas monochrome Klanglichkeit der Musik mit innerer Glut erfüllt. Abgesehen von der gelegentlich etwas problematischen Klangbalance - die Tutti klingen etwas wollig - gelingen insbesondere die großangelegten Steigerungen. In dieses Konzept eines im guten Sinne traditionellen Oratorientons fügt sich auch der warme, volle Klang des Staatsopernchores, wie auch das Solistenensemble. Gesungen wird hier allerdings mit einem undifferenzierten opernhaften Aplomb, der etwas angestrengt und schleppend wirkt (z.B. beim Einsatz des Tenors Johan Botha gleich zu Beginn). Dies geht leider nicht zuletzt auf Kosten der Textverständlichkeit. Hervorzuheben wäre noch die schöne Farbe des Mezzos von Ruxandra Donose (besonders im Solo "Inflammatus et accensus").
Also: Sicherlich alles andere als eine neue Referenzaufnahme, auch kein posthumer Lorbeerkranz für Sinopoli, dafür aber gediegenes musikalisches Handwerk. Und das zu einem relativ günstigen Preis.

Repertoire: 2
Klang: 4
Interpretation: 3
Präsentation: 3

Georg Henkel

12 von 20 Punkte
 

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