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Messiaen, O. (Märkl)

Et exspecto resurrectionem mortuorum – Le tombeau resplendissant - Hymne


Info
Musikrichtung: Neue Musik Orchester

VÖ: 28.05.2012

(Naxos / Naxos / CD / DDD / 2008 u. 2010 / Best. Nr. 8.572714)

Gesamtspielzeit: 65:55



ERHABEN UND DELIKAT

Jun Märkl und das Orchestre National de Lyon leuchten die drei hier eingespielten Werke Olivier Messiaens mit einer Genauigkeit und Delikatesse aus, dass es eine Freude ist.

Exquisite Klangfarben und eine exotische Harmonik prägen schon zwei verspätete Jugendwerke Messiaens, die er im Alter von 23 und 24 Jahren schrieb: Le tombeau resplendissant wurde vom Komponisten nach der Uraufführung 1933 allerdings zurückgezogen, möglicherweise war ihm das Werk zu persönlich und biographisch. Erst nach dem Tod des Komponisten 1992 wurde dieser zwischen aufrührerischer Vehemenz und ätherischer Zartheit pendelnde ‚Ausbruch aus dem Grab der Jugend‘ erneut aufgeführt und auch für CD eingespielt. Märkl und sein hörbar an Debussy geschultes und zur Meisterschaft gereiftes französisches Orchester gehen mit spannungsvoller Ruhe zu Werke, kosten vor allem die langsamen Abschnitte und ungewöhnlichen Orchestrierungseffekte aus. Schwärmerisch – und damit typisch nach Messiaen – klingt Hymne, ein Lobgesang auf das Altarsakrament. Die Gefahr, in einen frommen Kitsch abzugleiten, besteht freilich zu keinem Moment, auch dank der die kunstvollen Orchestertexturen sehr wach herausarbeitenden Interpreten.

Ein Höhepunkt der Produktion ist die strenge, in jedem Moment tiefenscharf ausgehörte Interpretation von Et exspecto resurrectionem mortuorum. Dieses Hauptwerk Messiaens wurde zum Angedenken an die Toten des 2. Weltkrieges komponiert und 1964 in der Pariser Sainte-Chapelle uraufgeführt. Die extreme Besetzung sieht außer Holz- und Blechbläsern ein großes Schlagzeugensemble vor. Märkl betont den per se zeremoniösen Charakter der oft blockhaft gefügten Musik durch eine Lesart, bei der die verschiedenen vom Komponisten verwendeten Materialien – u. a. farbig schillernde Tonkomplexe, stilisierte Vogelgesänge, Fragmente gregorianischer Gesänge – wie die Abschnitte eines liturgischen Rituals streng und gemessen aufeinander folgen. Eindrucksvoll, wie hier bei fast schon statischer Ruhe über dreißig Minuten die Spannung gehalten wird. Einzelne, von großzügiger Pausenstille gerahmte Glocken- und Tamtamschläge schweben regelrecht im Raum. Abgründig tiefe Pedaltöne der Posaunen gemahnen an buddhistische Rituale. Dazwischen erscheinen immer wieder raffiniert geschichtete und instrumentierte Akkordballungen, die nahezu abstrakt, wie reine Farbflächen wirken. Als Hörer findet man genügend Zeit, gerade hier in die Tiefe der Musik hineinzuhören und eine Ahnung von Messiaens akustischem Seh-Sinn zu bekommen: Tonkomplexe erlebte er vor den inneren Augen als Farbkomplexe; seine Musik hat tatsächlich etwas von großen farbigen Kirchenfenstern.
Nur kann sich unter diesen interpretatorisch verlangsamten Bedingungen die ekstatische Freude bzw. Auferstehungshoffnung, die sich z. B. in den schwungvollen Vogelgesängen oder rhythmisch vertrackten Passagen äußert, nicht gleichermaßen entfalten. Hier und an einigen exponierten Ensemble-Stellen hätte man sich doch etwas weniger Strenge und mehr Beweglichkeit gewünscht; da muss die Musik auch mal ‚tanzen’ und ‚swingen‘ dürfen (zum Vergleich sei die gleichfalls kontemplative, aber in dieser Hinsicht weniger verhaltene Interpretation des Asko Ensemble und des Schönberg Ensemble, unter Reinbert de Leeuw empfohlen): Messiaen war nach eigenem Bekunden ein Mann der Freude.
Trotzdem: Die auch aufnahmetechnisch sehr gelungen Produktion lässt hoffen, dass weitere Messiaen-Einspielungen mit diesen Interpreten folgen werden.



Georg Henkel



Trackliste
01-05 Et exspecto resurrectionem mortuorum 32:31
06 Le tombeau resplendissant 18:13
07 Hymne 15:11
Besetzung

Orchestre National de Lyon

Jun Märkl: Leitung


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