Musik an sich


Reviews
Humperdinck, E. (Davis)

Hänsel und Gretel (DVD)


Info
Musikrichtung: Romantik Oper

VÖ: 22.06.2009

(Opus Arte / Naxos / 2 DVD / 2008 / Best. Nr. OA1011D)

Gesamtspielzeit: 138:00



DAS PREKARIAT STEHT IM WALD

Mitten im Sommer erscheint in Deutschland dieser Live-Mitschnitt von "Hänsel und Gretel" aus dem Londoner Opernhaus - irgendwie ungewohnt, gehört das Stück bei uns doch eher zum Repertoire der Vorweihnachtszeit, obwohl es natürlich mit Weihnachten nicht das Geringste zu tun hat. Und noch bei einigen anderen Details muss man sich umstellen: In der Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier herrscht nicht durchweg konventionelle Märchenatmopshäre. Die Bewegungen zum Lied "Brüderchen komm tanz´ mit mir" waren wohl selten so cool und teenagerhaft. Bei den Nebenfiguren erscheint das Sandmännchen mit Golum-artigen Zügen und das Taumännchen ist eine Mischung aus Disney´s Cinderella und moderner Raumpflegerin. Sonst ist eigentlich alles beim alten, sieht man einmal davon ab, dass das Knusperhaus nur en miniature existiert und die Hexe eher eine Horrorküche mit tiefgekühlten Kindern im durchsichtigen Vorratsschrank ihr eigen nennt. Insgesamt wirkt die Inszenierung aber eher halbherzig, da sie den märchenhaften Charakter weder konsequent ironisch bricht, noch ihn 1:1 umsetzt und zusätzlich versucht, die prekariatsbedingten Probleme der Kinder und ihrer Eltern aufzuzeigen. Das ist ein bißchen zu viel und damit letztendlich zu wenig von allem. Nicht zuletzt aufgrund dieser unentschlossenen Mischung geraten manche Szenen ins Stocken, so etwa der Moment, als sich die Kinder im Wald verirren, was sich mehr statisch als in Bewegung vollzieht, oder jene Passage, in der die Hexe in den Ofen gestoßen wird, wozu sie sich aus technischen Gründen erst einmal mit dem Gesicht zu Gretel gewandt auf den Ofenrand setzt.

Tadellos und konsequent ist hingegen die musikalische Umsetzung gelungen. Colin Davis versteht es am Pult geschickt, dramatische Akzente zu setzen, aber auch das bei Humperdinck stark ausgeprägte atmosphärische Element nicht zu vernachlässigen. Die Instrumentalfarben - orientiert an Wagners Klangsprache - verfehlen ihre Wirkung nicht.
Angelika Kirchschlager und Diana Damrau darf man ohne Übertreibung als Idealbesetzung des Geschwisterpaars feiern. Beide gestalten die Figuren höchst lebendig und haben am gelungenen Zusammenspiel sichtbar selbst ihre Freude. Die Gratwanderung zwischen hoher Gesangskunst und kindlicher Darstellung wird von beiden ganz ausgezeichnet gemeistert.
Eine herrlich pampige, durchaus noch rüstige Hexe gibt die 68jährige Anja Silja, der auch stimmlich so leicht keiner was vormacht. Da reichen sich Hexenkunst und gerontokratisches Regiment so entschlossen die Hände, dass die Jugend verständlicherweise die Flucht ergreifen möchte.
Eindrucksvoll auch Elizabeth Connell und Thomas Allen als Elternpaar, das mit den Härten des Lebens kämpft und den Kampf eigentlich schon längst verloren hat.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Angelika Kirchschlager: Hänsel
Diana Damrau: Gretel
Elizabeth Connell: Gertrud
Thomas Allen: Peter
Anja Silja: Hexe

The Orchestra of the Royal Opera House
Tiffin Boys´ Choir and Children´s Chorus

Sir Colin Davis: Leitung


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