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Reviews
Diverse - Musik aus Lateinamerika und Spanien (Savall)

Villancicos y Danzas Criollas de la Iberia Antigua al Nuevo Mundo 1550-1750


Info
Musikrichtung: Klassische Weltmusik

VÖ: 27.01.2004

Alia Vox / Universal Music CD DDD (AD 2001-2003) / Best. Nr. AV 9834

Gesamtspielzeit: 76:52



MUSIK NACH KOLUMBUS: MIT JORDI SAVALL AUF AMERIKAEXPEDITION

Manchen gilt er wegen seiner Entdeckerfreude als ein Kolumbus der Alten Musik: der spanische Gambist Jordi Savall.
Der Musiker, der wie kaum ein anderer in den verschiedensten Musikepochen und –stilen Europas vom spanischen Mittelalter bis zur Wiener Klassik zu Hause ist, bestätigt diesen Ruf einmal mehr durch diese aktuelle Produktion: Mit einer Auswahl diverser Villancicos y Danzas Criollas entführen Savall und seine Ensembles La Capella Reial de Catalunya und Hexpèrion XXI die Hörer diesmal in die faszinierenden Musikwelten Alt-Spaniens und Lateinamerikas.
Vor ihnen hatten sich zwar schon diverse Künstler des Labels K617 auf diese Reise begeben, allen voran der Argentinier Gabriel Garrido mit dem Ensemble Elyma. Savall hat hier aber erneut eine eindrucksvolle Menge unbekannter Schätze entdeckt und weiß vor allem, der häufig nur in Skizzen überlieferten Musik mit einem eingespielten Team von Sängern und Instrumentalisten seinen unverkennbaren Stempel aufzudrücken: Interpretatorische Freiheit und künstlerische Disziplin verbinden sich da aufs Glücklichste.

VORMODERNE „WELTMUSIK“

Herausgekommen ist ein ungemein farbiges und abwechselungsreiches Programm, das die Verschmelzung europäisch-spanischer und südamerikanischer Musikwelten vom 16.-18. vorstellt.
Wenn man bei der Eroberung Amerikas vor allem an den brutalen Kolonisations-, Missions- und Ausrottungskrieg denkt, mit der die spanischen Konquistadoren das Land überzogen, so wird man von der puren Vitalität und Schönheit dieser Musik gewiss verblüfft sein. Sie spricht selbst da noch von der Authentizität und Durchsetzungskraft indigener Einflüsse, wo diese von europäischen Komponisten bloß als exotisches Kolorit angebracht wurden: Sei es, um das Ohr zu kitzeln, sei es, um das Bild vom naiven oder barbarischen Eingeborenen zu zeichnen.
Noch mehr verblüfft ist man, wenn man aus dem umfangreichen Beiheft erfährt, wie schnell diese „primitiven“ Eingeborenen sich auch umgekehrt die Musiksprache und Instrumente ihrer Eroberer zu eigen gemacht haben. Sie haben sie nicht nur mit ihrer eigenen musikalischen Kultur verschmolzen, sondern schließlich sogar als Komponisten und Kapellmeister an den Höfen der Vizekönige und den Kathedralen hohe Positionen bekleideten.
Die spanische Kultur hat sich seit jeher im Spannungsfeld unterschiedlicher Einflußsphären entwickelt: Das Erbe von Westgoten und Kelten, von römischer und christlicher Antike vermischte sich mit arabischer und jüdischer Kultur. Das Resultat war eine multiethnische und –kulturelle Gesellschaft, die sich selbst unter dem puritanischen, zentralistischen Regiment von König Ferdinand und Königin Isabella der Katholischen nicht gänzlich „homogenisieren“ ließ. In der spanischen Musik bestand daher immer eine gewisse Affinität zur Volksmusik, die auch in die Meisterwerke der Hochmusik Eingang fand.
Natürlich wusste man auch – vor allem in der katholischen Kirche – um die suggestive Macht der Musik, die selbst verhärtete Herzen erweichen und Ungläubige bekehren konnte. Mit christlichen Texten versehen, gelangten traditionelle indianische Melodien zurück in den kulturellen Kreislauf Lateinamerikas. Umgekehrt überwanden manche der volkstümlichen Tänze und Melodien die Mauern spanischer Paläste und sogar Klöster! Mit dem Villancicos hielten volkssprachliche Gesänge in Messe und Stundengebet Einzug - das „Neue geistliche Lied“ wurde ganz offenbar in Amerika geboren.

Das Verdienst von Jordi Savall und seiner fabelhaften Mitstreiter/innen liegt darin, die zahllosen Quellen dies- und jenseits des Atlantiks gesichtet und mit sicherem Gespür für die Eigenart der Stile und Formen zu neuem, ganz un-musealem Leben erweckt zu haben.
Mit der ihm eigenen Mischung aus unerschöpflicher Klang-Phantasie, Improvisationskunst und Vitalität gelingt Savall erneut eine wundersame Gratwanderung zwischen den musikalischen Welten. Rund 80 Minuten fesselnde Musik, deren Reichtum immer wieder überwältigt, sind das Ergebnis. Mit einem wesentlich erweiterten Programm war das Ensemble u. a. in Deutschland auf Tournee. Wer den Live-Auftritt verpaßt hat, darf jetzt bei dieser auch klangtechnisch bestechenden Produktion ohne Bedenken zugreifen.



Georg Henkel



Trackliste
1Chacona: A la vida bona (Juan Arañé)06:30
2Danza del Hacha (Anonym)02:28
3Moresca: Di Perra Mora (Pedro Guerrero)03:27
4Negrilla: San Sabeya gugurumbé (Mateo Flecha)05:20
5Ritual formulario: Hanacpachp cussicuinin (Juan Pérez Bocanegra)05:08
6Jota (Anonym)03:23
7Tono humano: Ay quem e río de amor (Juan Hidalgo)02:26
8Mestizo e Indio: Tleycantimo choquiliya (Gaspar Fernandes)04:41
9Negro: Antonya, Flaciquia, Gasipà (Frei Filipe Da Madre de Deus)09:55
10Cachua (Anonym)04:15
11Rorro: Desvelado dueño mio (Tomás de Torrejon y Velasco)05:48
12Negrilla: A siol flasiquiyo (Juan Guitérrez de Padilla)04:22
13Juguete: Un juguetico de fuego (Melchor de Torres y Portugal)07:39
14Juguete: Convivando esta la noche (Juan García de Zéspedes)01:11
15Guaracha: Ay que e abraso (Juan García de Zéspedes)03:26
16Villancico: Sefafín que con dulce (Joan Cererols)06:53
Besetzung

La Capella Reial de Catalunya:
Montserrat Figueras, Adriana Fernández, Marisa Vila (Sopran)
Maite Arrubarrena, Rosa Domínguez (Mezzo-Sopran)
Carlos Mena, Josap Hernández (Contra-Tenor)
Lambert Climent, Francesc Garrigosa, Lluís Vilamajó, Miguel Benal (Tenor)
Furio Zanasi, Jordi Ricart (Bariton)
Ivan García, Daniele Carnovich (Bass)

Hexpèrion XXI:
Jean-Pierre Canihac (Zink)
Alfredo Bernardini, Béatrice Delpierre (Chirimías)
Daniel Lasalle, Elies Hernándis (Posaune)
Josep Borràs (Bajón)
Jordi Savall, Sergi Casademunt, Sophie Watillon, Phillippe Pierlot, Lorenz Duftschmid (Gamben)
Xavier Puertas, Bjorn Kjellemyr (Violine)
Xavier Díaz-Latorre, Rolf Lislevand (Gitarren, Theorben)
Eduard Egüz (Gitarre)
Arianna Savall, Marina Bonetti (Doppel-Harfe)
Michael Behringer (Truhenorgel)
Luca Gugliemi (Cembalo, Truhenorgel)
Adela González-Campa (Kastagnetten)
Pedro Estevan, Marc Clos (Schlagzeug)

Ltg. Jordi Savall


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