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Novalis

Flossenengel


Info
Musikrichtung: Prog Rock

VÖ: 30.03.2012 (1979)

(MiG / Intergroove)

Gesamtspielzeit: 45:15


Ob Flossenengel ein Höhepunkt der Bandgeschichte oder der Anfang vom Ende war, ist – wie so oft – Ansichtssache. Auf jeden Fall markiert das Konzeptalbum einen deutlichen Einschnitt im Werk von Novalis.

Fielen die Romantiker unter den Krautrock-Bands bis zu diesem Zeitpunkt vor allem mit lyrischen Longtracks auf, die entweder tatsächlich von ihrem Namensgeber, dem Dichter Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772 - 1801), stammten, oder in ihrer Naturmystik doch stark an ihn angelehnt waren, werden Novalis mit Flossenengel musikalisch deutlich kompakter und textlich wesentlich konkreter.

Schaut man sich in der Zeit um, in der Flossenengel entstanden ist, entdeckt man auf der einen Seite die Neue Deutsche Welle, auf der anderen den ersten Höhepunkt der Technologie- und Vermarktungs-kritischen Ökologie- und Lebensstil-Bewegung, die gerade erst zur Gründung der alternativen Partei der Grünen geführt hatte.

Beides hinterlässt deutliche Spuren auf dem Album Flossenengel, das sich formal mit der Geschichte eines Fisches beschäftigt, der gefangen, in den Zoo gebracht und am Ende wieder frei gelassen wird. Letztlich ist es aber vor allem die Geschichte des Bewusstseinswandels seines Fängers, der den Fisch am Ende selber wieder in die Freiheit entlässt. Die Texte von „Ob Mensch, ob Tier, ob Baum“ und „Alle wollen leben“ am Ende des Albums machen deutlich, dass es sich hier nicht „nur“ um naive Tierliebe handelt, sondern dass die Band den Umgang des Fängers mit dem Fisch als Symbol für den Umgang der Menschheit mit der ihn umgebenden Natur sieht.

Rein äußerlich erkennt man sofort die deutlich geschrumpfte Länge der einzelnen Titel. Mit „Im Netz“, hier mit achteinhalb Minuten der herausragende „Longtrack“ des Albums, erreicht gerade mal ein Stück zumindest annähernd die Länge von Klassikern wie „Wer Schmetterlinge lachen hört“ oder „Es färbte sich die Wiese grün“.
Neu ist auch der verstärkte Einsatz von Synthesizern, der mich bei Erscheinen des Albums stark auf Distanz gehalten hatte. Aber offenbar gewöhnt man sich an alles. Heute habe ich mir die Synthie-Solos z.B. bei „Sklavenzoo“ ausdrücklich als Positiva notiert. „Sklavenzoo“ steht auch für eine andere Entwicklung – die hin zu knackigen Rock-Songs, die man punktuell vielleicht schon einmal auf Brandung gehört hat, die hier mit „Brennende Freiheit“, eben „Sklavenzoo“, „Alle wollen leben“ und „Ob Mensch, ob Tier, ob Baum“ aber mittlerweile einen Schwerpunkt darstellen und gemeinsam mit dem synthetischen Ansatz durchaus in den Rahmen der Neuen Deutschen Welle hineinpassen, ohne sich an deren Anspruchslosigkeit zu verlieren.

Eingebunden sind die neuen Ansätze in ein verträumt melodisches Umfeld, das auf die Traditionen von Novalis im neuen Gewand zurück greift. Immer wieder werde Nature Sounds, insbesondere Wal-Gesänge, in die Kompositionen eingebunden. (Was den Autor des Wikipedia-Artikels zu Novalis wohl auf die Spur gebracht hat, hier wäre von einem Wal die Rede.)

Um noch mal auf die Eingangsfrage zurück zu kommen. Ein Highlight des Novalis-Katalogs ist Flossenengel nicht (was aber nicht zuletzt an der überragenden Qualität einiger anderer Alben liegt); der Anfang vom Ende aber schon gar nicht. Zugegebenermaßen gibt das tolle Spätwerk aber tendenziell die stilistische Ausrichtung auf, die Novalis ein absolutes Alleinstellungsmerkmal gegeben hat. So dass Flossenengel das Versinken von Novalis in einem anwachsenden Meer deutschsprachiger Rock-Pop-Acts zumindest vorbereitet hat.
Aber soweit ist es 1979 noch nicht.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1Atlanto 5:12
2 Im Brunnen der Erde 4:28
3 Brennende Freiheit 2:20
4 Im Netz 8:38
5 Flossenengel 3:26
6 Walzer für einen verlorenen Traum 3:27
7 Sklavenzoo 6:00
8 Alle wollen leben 4:45
9 Rückkehr 6:00
10 Ob Mensch, ob Tier, ob Baum 1:50
Besetzung

Lutz Rahn (Keys)
Heino Schünzel (B, Voc)
Fred Mühlböck (Git, Voc)
Detlev Job (Git, Voc)
Hartwig Biereichel (Dr, Perc)


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