Musik an sich


Reviews
Orff, C. (Gehren)

Ein Sommernachtstraum (Bühnenmusik zur Komödie von William Shakespeare)


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne Oper

VÖ: 23.05.2011

(CPO / JPC / 2 CD / DDD / 2010 / Best. Nr. 777657-2)



NIEMANDSLAND

Dass Carl Orff mit seiner Bühnenmusik zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum ausgerechnet 1939 herauskam, galt und gilt immer noch vielen als Ausdruck seines Opportunismus gegenüber den Nazis. Die Musik des Juden Mendelssohn, die seit ihrer Entstehung nicht umsonst zum Inbegriff musikalischer Shakespeare-Feerien geworden war, durfte damals nicht gespielt werden. Und Orff war, trotz anfänglicher NS-Kritik an den „artfremden Rhythmen“ seiner „bajuwarischen Niggermusik“ (der „Carmina Burana“), wenigstens ein reinrassiger Deutscher und, wenn schon kein glühender Anhänger, so doch auch kein Gegner des Systems. (Ein Zeit-Artikel von 1995 fasst den Streit um Orffs Mitläufertum schön zusammen: Die Musik ist Schuld.)

Orffs Pläne zu einer neuen Sommernachts-Musik freilich reichten weit vor 1933 zurück und richteten sich nicht gegen Mendelssohns Musik an sich, schon gar nicht gegen dessen jüdische Herkunft, sondern gegen eine gewisse Überbetonung des Malerischen und Idyllischen in der Partitur. Orff suchte für Shakespeares vielschichtige Komödie nach einer Musik, die kein Zusatz, sondern integraler Bestandteil der Szene sein sollte und vor allem der erotisch-dämonischen Dimension des Stückes Rechnung tragen sollte. Mehrere Anläufe waren dafür nötig, von der noch sehr konventionellen Urversion bis hin zur letzten Fassung 1952, die 1964 nochmals leicht korrigiert wurde.

Der „Sommernachtstraum“ ist für Orff kein harmloser Schwank, sondern eher eine beinahe-Tragödie mit noch-glücklichem Ausgang. Dennoch ist seine Sicht auf Shakespeare keine grundsätzlich andere als die seiner Vorgänger.
Das hört man auch in der vorliegenden Einspielung, einem Live-Mitschnitt der Andechser Orff-Festspiele. Das eigentliche Schauspiel ereignet sich als praktisch reines Sprechtheater in der Übersetzung von Schlegel und Tieck. Die jungen Akteure werden von der Regie zu einer ausgesprochen druckvollen, expressiven Deklamation angehalten, vor allem in den Momenten der heftigsten Gemütsäußerungen wie dem Streit zwischen den durch Zauber verwirrten Liebespaaren. Das nimmt dem Stück praktisch jede Leichtigkeit (die es doch auch noch hat – so gesehen wird das eine Extrem durch ein anderes ersetzt …)
Überzeugend und innovativ gerät die im Hintergrund wie ein weiterer Akteur mitlaufende Musik immer da, wo sie sich auf kurze und chiffrenhaft reduzierte Motive beschränkt. Orff setzt vor allem in den Waldszenen für die Elfen und Kobolde ein reiches, oft exotisches Schlagwerk ein, das in Abmischung mit dem übrigen Teilen des Orchesters eigentümliche und geheimnisvolle Klangwirkungen ermöglicht. Diese weitgehend abstrakte Musik eröffnet einen Klangraum, der den Eindruck der Handlung im Vordergrund atmosphärisch vertieft. Das Magische, Heidnisch-Erdhafte von Shakespeares Geisterwelt gewinnt da ebenso einprägsam Gestalt wie die treibende Kraft der Erotik oder die latente Gewalt hinter allem Verzaubern und Begehren.

Daneben gibt es zahlreiche Restbestände tonaler und kadenzierter Harmonik, die zum Teil in Form von Zitaten installiert wird: Die festliche Eröffnungsfanfare zitiert einen Liebes-Chor aus den „Carmina Burana“ und gemahnt zugleich an den Urahn aller Opern, Monteverdis „Orfeo“. Ein Motiv aus dem „Rosenkavalier“ wird in die „Sinfonia“ eingebaut, die den Mondaufgang begleitet. Hier wie in vergleichbaren, ebenfalls elementar gehaltenen Stücken fehlt es an jener oben angedeuteten neuartigen Klangaura und dann wirkt es auch schnell man angestaubt. Die Einfachheit verdankt sich nicht zuletzt der szenischen Funktion. Die Tralalala-Blasmusik für die Rüpel ist im Vergleich mit Shakespeares Kunstfiguren zu offensichtlich banal geraten. Auch dominiert jener eher volkstümliche, neo-archaische oder –mittelalterliche Ton, der die „Carmina Burana“ prägt. Das gilt auch für Elfenchöre, deren Quint- und Terzseligkeiten wenig überirdischen Zauber verbreiten, sondern recht verbraucht wirken. Das ist wiederum zu nett – vor allem, wenn man gleich daneben die offenkundig sehr leicht reizbaren Ober-Geister Oberon und Titania vernimmt.

Das Label CPO hat es riskiert, diese historisch belastete Musik endlich einmal auf CD zu veröffentlichen, um so ein vorurteilsfreies Hören zu ermöglichen. Dass Orffs Sommernachts-Musik sich nicht ins artgerecht-völkische Schema pressen lässt, sollte deutlich werden. Ebenso, dass sie eine Fülle von Anregungen für eine Synthese von Sprechtheater und Musik bereithält, sich dabei aber in einem interessanten Niemandsland zwischen Moderne und traditionellem Volkstheater eingerichtet hat. Das Neue kündigt sich hier eher als Krise des Alten an.



Georg Henkel



Besetzung

Martin Dudeck, Andreas Haun, Barbara Böhler, Christian Arndt Sanchez u. a.

Andechser Festspielchor

Andechser Orff-Akademie des Münchner Rundfunksinfonieorchesters

Christian von Gehren: Leitung


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