Musik an sich


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Beethoven, L. v. Brautigam

Klaviersonaten Nr. 28, 30, 31, 32 Sämtliche Sonaten VIII


Info
Musikrichtung: Klassik Klavier

VÖ: 26.05.2010

(BIS / Klassik Center Kassel SACD hybrid / 2009 / Best. Nr. BIS-1613)

Gesamtspielzeit: 73:58



ZUKUNFTSMUSIK

Mit der achten Folge schließt Ronald Brautigam den Kreis seiner Einspielung sämtlicher Klaviersonaten des berühmten Wiener Meisters ab. Diese späten Kompositionen haben es in sich. Formal und klanglich erreicht Beethoven hier ein neues Niveau an Komplexität und Ausdrucksdifferenzierung. Das gelingt ihm im Rahmen jener Sonaten-Disposition, die durch Haydn und Mozart geprägt wurde und weist doch weit darüber hinaus. Angesichts der oft verwirrenden motivischen Verarbeitung ("dialektisch" passt hier wirklich gut), der zugespitzten Chromatik und häufigen Temperamentswechsel (geradezu psychologisch) erweisen sich der klare Zugriff Brautigams und sein historisches Instrument einmal mehr als ideales Mittel, um die zeitlose Modernität dieser Musik herauszuarbeiten.

Da ist z. B. die berühmte Sonate op. 101, in der Beethoven wie in keiner anderen die Sicherheiten der Sonatenform aufgibt. Sie stellt in ihrer kalkulierten Richtungslosigkeit eine besondere Herausforderung für das formale Gestaltungsvermögen des Interpreten dar. Lebhaft und marschmäßig soll da der 2. Satz genommen werden. Brautigam vermeidet rhythmische Vordergründigkeit durch ein elastisches, dynamisch vielschichtiges Spiel, das den Notensatz das Tanzen auf zehn Fingern beibringt. Der dritte Satz darf sich sehnsuchtsvoll aussingen, bis dann das Finale mit unwiderstehlichem Humor dahinfliegt. Das komplexe Stück wirkt trotz des differenzierten Spiels in keinem Moment sperrig.
Ein Höhepunkt ist auch der Finalsatz von op. 111: die berühmte Arietta. Hier wird das ariose Thema durch das Feuer verschiedener Variationen geschickt, aus dem es stets verwandelt heraustritt. Dabei erforscht der Komponist nicht nur immer wieder neue kontrapunktische und harmonische Kombinationsmöglichkeiten, sondern auch den Klang. Unter Brautigams Händen entstehen vor allem in den oberen Registern metallisch funkelnde, merkwürdig abstrakte Pattern, die aus dem 20. Jahrhundert zu stammen scheinen. Ebenso ein faszinierender Zukunftsblick: der Ragtime-Swing, den Brautigam hier hervorkehrt, lässt Beethoven plötzlich mehr nach Scott Joplin denn nach Wiener Klassik klingen.

Indem Brautigam solche Bezüge unangestrengt hörbar macht, gelingt ihm eine musikalisch ebenso an- wie aufregende Wiedergabe von Beethovens esoterischen späten Kompositionen.



Georg Henkel



Trackliste
Ronald Brautigam, Hammerklavier nach Walter 1819

Sonate für Klavier Nr. 28 A-Dur op. 101
1. Etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung: Allegretto, ma non troppo 3:36
2. Lebhaft, marschmäßig: Vivace alla Marcia 5:32
3 Langsam und sehnsuchtsvoll: Adagio, ma non troppo, con affetto 2:39
4. Geschwinde, doch nicht zu sehr, und mit Entschlossenheit: Allegro 7:0

Sonate für Klavier Nr. 30 E-Dur op. 109
1. Vivace, ma non troppo 3:13
2. Prestissimo 2:14
3. Gesangsvoll, mit innigster Empfindung: Andante molto cantabile ed espressivo 11:04

Sonate für Klavier Nr. 31 As-Dur op. 110
1. Moderato cantabile molto espressivo 5:49
2. Allegro molto 2:09
3. Adagio ma non troppo - Fuga: Allegro ma non troppo 10:22

Sonate für Klavier Nr. 32 c-moll op. 111
1. Maestoso - Allegro con brio ed appassionato 8:20
2. Arietta: Adagio molto semplice e cantabile 12:00
Besetzung

Ronald Brautigam, Hammerklavier nach Walter 1819


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