Musik an sich


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Child of Tibet





Während ich am 04.06.2009 im Foyer des Domforum in Köln sitze und auf meinen Interviewtermin mit der tibetischen Künstlerin Soname Yangchen warte, gehe ich in Gedanken noch einmal die Punkte durch, die ich bereits von Ihr kenne:

Geboren wurde Sie 1974 in Tibet, also schon unter chinesischer Besatzung, die - so sagt Sie selber - in nahezu jedem Moment des Alltags zu spüren gewesen sei, vor allem für Ihre den tibetischen Buddhismus selbstverständlich lebende Familie. In jungen Jahren bereits wird Sie an eine fremde Familie gegeben, der Sie über Jahre den Haushalt führt; eindringlich beschreibt Sie Ihre Arbeiten vom Teekochen in dünner Luft bis zum Reinigen von Teppichen und Latrinen.
Mit 16 Jahren entschließt Sie sich zu einer "abenteuerlichen" (angesichts der nur allzu realen Dramatik erscheint dieses Wort als schlimmster Euphemismus!) Flucht nach Indien, von dort führt Ihr Weg weiter nach Frankreich und England. Nachzulesen ist diese Erzählung in Ihrer Autobiographie "Child of Tibet", die auf deutsch unter dem Titel "Wolkenkind" (ca. 10,-) erschienen ist.
In Europa wird mehr oder weniger zufällig Ihr stimmliches Talent erkannt, als Sie auf der Hochzeit eines Bekannten darum gebeten wird, Lieder aus Ihrer Heimat zu singen. Zufällig sitzt dort auch ein ehemaliges Mitglied der legendären Sex Pistols, und von dort ist es nicht mehr weit bis zu Ihrem ersten Album Unforgetable Land. Ihr zweites Album mit dem Titel Plateau erscheint dieses Jahr am 17.07. In der Tradition traditioneller tibetischer Musik finden sich darauf eigene Kompositionen von Soname, die gemeinsam mit indischen Musikern eingespielt wurden. Über Ihre Musik wurde und wird Soname damit, ohne das bewußt intendiert zu haben, so zugleich zu einem Sprachrohr für Ihre tibetische Heimat.

Mit diesen wenigen und aufgrund meiner Unwissenheit über die tibetische Kultur für mich recht irritierenden ersten Eindrücken - die sich mit den ersten Höreindrücken von Plateau nur verstärkt hatten - gelange ich schließlich in den 5. Stock des genannten Domfoyers und betrete (als Nachfolger eine Dame vom WDR) einen Raum mit Blick auf die Westfassade des Kölner Doms. Viel beeindruckender ist jedoch die um die 1,60m große Frau im traditionellen tibetischen Gewand mit den dichten schwarzen Haaren, die Ihr bis in die Kniekehlen reichen. Mit einem herzlichen Lächeln begrüßt mich Soname mit einer leisen, weichen Stimme, die dennoch eine große Kraft in sich trägt. Nicht zuletzt diese Herzlichkeit ist es, die mich meine Nervosität bald vergessen macht, und das auf eine Dreiviertelstunde angesetzte Interview zu einem anderthalb Stunden langen Gespräch werden läßt, da Soname zudem sehr bereitwillig, offen und ausführlich über sich selbst zu sprechen versteht:

Ob Ihr der englische und der deutsche Titel Ihrer Biographie Ihre Person widerzuspiegeln scheinen, möchte ich wissen. Eigentlich, so antwortet Sie mir, habe Sie vor allem mit dem engl. "Child of Tibet" ein Problem gehabt, da das eigentlich ein religiöser Titel in Ihrer Heimat sei. Doch schließlich sei dies nur ein Titel, der doch eben nur dazu da sei, ein Titel für Ihre eigene Geschichte zu sein - und die wiederum diene dazu, auf die Situation Ihrer Heimat hinzuweisen. Deswegen habe Sie einem Freund in England Ihre Geschichte erzählt; der habe Sie so ungeordnet aufgeschrieben, wie Sie sie erzählt habe. Das Manuskript habe dann die englische Journalistin Vickie Mackenzie in Absprache mit Ihr in die Form gebracht, in der es heute als Buch zu bekommen sei.
Meine folgenden Fragen zu tibetischer Geschichte und Kultur führen sehr schnell auf das Thema der (buddhistischen) Religion und der kulturellen Gegensätze von "tibetischer" und "westlicher" Kultur. Soname beschreibt den Menschen "an sich" mit dem interessanten Ausdruck "monster-born people": Als solcher werde der Mensch geboren, von diesem "Monster" habe sich der Mensch zu befreien. Die buddhistischen Lamas sollen dem Menschen helfen, zur "compassion" mit allen Lebewesen zu gelangen. Natürlich hieße das nicht, dass die Tibeter ausschließlich friedliche Menschen seien - immerhin seien auch sie "monster-born", und immerhin lebten sie in einem Land, dass seit Jahrzehnten unter einem in kultureller und religiöser Hinsicht mehr als intoleranten und repressiven Regime leidet. Gerade deswegen wünschte Sie sich für Ihr Land nicht so sehr eine formelle Unabhängigkeit, sondern eine Akzeptanz der Kultur, Geschichte, Tradition und Religion Tibets. Darin stimme Sie mit dem Friedensplan des Dalai Lama vollkommen überein.
Nur kurz und ohne eine Spur negativer Emotion kritisiert Soname "den" Menschen des Westens dafür, dass er/sie zu selbstfokussiert sei, zu sehr darauf ausgerichtet, welchen Eindruck er/sie beim Anderen hinterlasse, zu sehr auf Aussehen, Kleidung und make-up fokussiert.

Schon sprechen wir über Ihr aktuelles Album Plateau. In Ihrer Autobiographie sei mir aufgefallen, dass "Plateau" sich anscheinend auf den Himalaya bezieht, da Soname dieses Wort verwendet, als es um in "Himmelsbegräbnis" für Ihre Mutter geht und um Ihre Flucht nach Indien. Soname bestätigt meinen Eindruck: Der Titel Plateau sei für Sie, wie auch der Titel des ersten Albums Unforgetable Land ein Synonym für Ihre Heimat Tibet, das für Sie unvergeßliche Land der Berge, der unterschiedlichen Höhen. Und was hätte für Sie näher liegen können, als Ihre Heimat, die für Sie ja auch die Inspirationsquelle Ihrer Musik sei, zum Titel der beiden Alben zu machen?! Ihre Impressionen der Landschaft(en) und die Spiritualität Tibets - das sei es, was den Zuhörer Ihrer Musik erwarte.
Ob Soname denke, hake ich ein, dass der Zuhörer gerade hier im Westen mit dieser doch recht ungewohnten bis fremden Musik wirklich etwas anfangen könne. Angesichts ausverkaufter Konzerte von Soname selbst im Royal Opera House (London) oder der Carnegie Hall (New York) scheint eine solche Frage zwar vermessen, aber trotzdem... Also schildere ich meine Impressionen vom Hören Ihrer Musik, und bin überrascht: Meine Impression zum ersten Titel auf Plateau benenne ich mit "sunrise" und "deep, silent, peaceful water". Soname erklärt mir daraufhin, dass Sie dieses Lied geschrieben habe, während Sie im Flugzeug übers Meer geflogen sei und die letzten, sich im wasser spiegelnden Sonnenstrahlen beobachtet habe. Dabei habe Sie an Ihre Kindheit in Tibet gedacht, an Spaziergänge mit Ihrer Mutter im Mondschein. Auch bei weiteren Liedern des Albums erkenne ich an Titel und Texten später, dass Musik anscheinend doch eine universellere Sprache ist, als ich angenommen hatte, und Soname - man entschuldige das, was wie eine Platitude klingt - spricht diese Sprache mit großer Leidenschaft und Überzeugung!

Unser Gespräch führt uns zu vielen Orten, die hier kaum wiederzugeben sind, und sich vor allem (wie sollte man das bei einem Theologen nicht erwarten) um die Religion(en), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede drehen, um "compassion" und "enlightenment", um den Kölner Dom, Träume, Wahrheit und Realität - aber auch schon kurz über Sonames nächstes Projekt: Ein Album mit Ihren Liedern, das nicht in einem Tonstudio unter sterilen Bedingungen aufgenommn wurde, sondern unter freiem Himmel in Portugal, so dass Natur- und Tiermelodien sich mit denen der Lieder Sonames vermischen...

Genau so herzlich wie Sie mich begrüßt hat verabschiedet mich Soname. Was bleibt ist der Eindruck einer großen, selbstverständlichen Menschlichkeit bei aller kulturellen Fremdheit. Natürlich verstehe ich Tibet und tibetische Kultur noch immer nicht wirklich, aber Sonames Persönlichkeit, die sich voll und ganz in Ihrer Musik wiederzufinden scheint - einen besseren Botschafter als Soname und Ihre Lieder auf Plateau kann sich Tibet kaum wünschen!


Andreas Matena



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