Reinhard Mey

Aus meinem Tagebuch (Vinyl)


Info
Musikrichtung: Liedermacher / Chanson

VÖ: 12.05.2017 (1970)

(Universal)

Gesamtspielzeit: 38:45


Reinhard Mey war DER deutsche Liedermacher der 70er Jahre. Verwurzelt in der französischen Chanson-Szene, wo er als Frédérik Mey auftrat, brachte er eine ganz eigene Note in die deutschsprachige Musik. Dabei beackerte er ein weites Spektrum von humorvollen Songs, die heute fast unter Comedy laufen würden, bis hin zu anspruchsvoll literarischen Texten. Zu den politischen Liedermachern, die das Genre im Deutschland der 70er Jahre im Wesentlichen prägten, gehört er dagegen nicht – trotz gelegentlicher Politikerschelte.

Universal haben nun acht frühe Alben von Reinhard Mey neu als Vinyl-Editionen veröffentlicht. Gerne hätten wir Euch in einer ausführlichen Serie das ganze Paket vorgestellt, aber wir konnten uns nur drei von acht Alben auswählen. So starten wir in dieser Juni-Ausgabe mit Aus meinem Tagebuch, um in den beiden folgenden Ausgaben mit Mein Achtel Lorbeerblatt (1972) und Wie vor Jahr und Tag (1974) nachzulegen.

Erfolgstechnisch schließt Aus meinem Tagebuch die erste Karrierephase von Reinhard Mey ab. Dieses, sein drittes Album war das letzte das in Deutschland nicht gechartet ist (mittlerweile aber Gold eingefahren hat). Danach folgen bis 2016 24 weitere Alben. 10 davon erreichen die Top Ten; 12 weitere kamen unter die ersten 30. Lediglich zwei Alben, die in der ersten Hälfte der 80er veröffentlicht wurden, mussten sich mit den Plätzen 34 und 36 zufrieden geben. Mit einer leichten Verzögerung sieht die Erfolgsbilanz in Österreich ähnlich aus.

Aus meinem Tagebuch ist ein typisches Mey-Album, das gegenüber dem Vorgänger Ankomme Freitag, den 13. qualitativ aber deutlich abfällt. Insbesondere seine humorvolle Seite kann der Sänger auf diesem Album kaum ausspielen. Er versucht es mit dem Opener, der „Ballade vom Pfeifer“, einer Art Western-Persiflage, deren Pointe, die plötzlich am Ende noch hineingewürgt wird, aber sehr gewollt wirkt. Ähnliches gilt für die „Trilogie auf Frau Pohl“, die wohl das Spießerleben besagter Dame (und Vermieterin) mit dem Boheme-haften Leben einer Künstlergruppe karikieren will. Aber jenes Künstlerleben fällt selber derart spießig aus, dass man es sich wohl nur damit erklären kann, dass Reinhard Mey eben nicht in Schöneberg oder Kreuzberg aufgewachsen ist, sondern in Reinickendorf. Dort mag das 1970 noch unangepasst gewirkt haben. (Dazu passt dann auch das Coverartwork, das ihn als Möchtegern-Belmondo mit Kippe und Bügelbier zeigt.)

Mit „Abgesang“ und „Komm, gieß mein Glas noch einmal ein“ werden zwei Themen bedient, die sich bei Mey immer wieder finden – das (eigene) Sterben und das (gepflegte) Feiern im halbwegs bürgerlichen Rahmen. „Das Lied von der Spieluhr“ entpuppt sich als etwas umständlich um die Ecke gedachtes Liebeslied.

In einem Konvolut von Titeln, die auf den meisten (frühen) Scheiben des Künstlers eher den Charakter von Fillern gehabt hätten, finden sich dann aber doch zwei Volltreffer. Da wäre zum einen der „Vertreterbesuch“, das nicht nur gekonnt die Überzeugungsversuche eines Vertreters auf die Schippe nimmt, sondern zugleich noch einen – wenn auch nicht sehr tief schürfenden – ironischen Blick auf das allgemeine weltpolitische Geschehen wirft.
Top-Titel ist aber der Titelsong, in dem sich Reinhard Mey in einen Arbeiter auf Montage versetzt und sehr sensibel das Empfinden dieses Mannes schildert, der fern von der Heimat sein Geld verdient und zwischen dem ganz alltäglichen Miteinander in einer offensichtlich international besetzten Arbeiterkolonne und der Sehnsucht nach der Familie zuhause lebt.

Die neue Vinyl-Ausgabe kommt fast unverändert so, wie es vor fast 50 Jahren erschienen ist. Das einfache Steckcover ist lediglich mit mit der Tracklist und den 47 Jahre alten Linernotes bedruckt. Lediglich das Logo der Universal Music Group wurde ergänzt. Auch sonst gibt es keine Extras. Das schwarze 180g Vinyl steckt in einem einfachen weißen unbedruckten und ungefütterten Innencover.



Norbert von Fransecky



Trackliste
Seite 1
1 Die Ballade vom Pfeifer (3:36)
2 In meinem Garten (3:27)
3 Du, meine Freundin (2:52)
4 Abgesang (2:56)
5 Vertreterbesuch (2:23)
6 Trilogie auf Frau Pohl (5:19)

Seite 2
7 Aus meinem Tagebuch (3:00)
8 Das Lied von der Spieluhr (3:35)
9 Noch einmal hab' ich gelernt (2:38
10 Wirklich schon wieder ein Jahr (2:53)
11 Komm, gieß mein Glas noch einmal ein (4:10)
12 Grüß dich, gestern (2:56)
Besetzung

Reinhard Mey (Voc, Git)
Begleit-Ensemble Pepe Naumann
Die Rosy-Singers



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