Musik an sich


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Bach, J. S. (Het Collectief)

Ein musikalisches Opfer BWV 1079 „revisited“


Info
Musikrichtung: Barock - Neue Musik

VÖ: 01.04.2006

Fuga Libera / Note 1
CD (AD) / Best. Nr. FUG601


Gesamtspielzeit: 48:27



UNVERBRAUCHTER AVANTGARDIST

Bei seinem Besuch 1747 in Potsdam war J. S. Bach gleich nach seiner Ankunft ins königliche Schloss befohlen worden, um Friedrich II. Kostproben seiner legendären Kunst als Kontrapunktiker und Improvisator zu liefern. Die ausgesprochen barock anmutende, verschnörkelte Melodie, die Bach aus dem Stand in eine dreistimmige Fuge verwandeln sollte, wurde ihm vom König persönlich vorgegeben. Das sperrige chromatische Thema hat Bach zu weiteren Auseinandersetzungen angeregt. Ein Jahr später erschien das Musikalische Opfer als Huldigung an den Preußischen König als mehrteiliger Zyklus im Druck.

Zu Beginn es 21. Jahrhunderts macht sich nun das niederländische Ensemble Het Collectief daran, die Fugen- und Kanonkünste des Altmeisters auf originelle Weise zu entschlüsseln und aufzumischen. Dabei erweist sich Bach wieder einmal als der wahre, unverbrauchte Avantgardist. Schon in historisierenden Besetzungen entfaltet sich ja der poetische Zauber seiner Kontrapunkt-Miniaturen. Het Collectief geht noch einen Schritt weiter. Mit modernen Instrumenten unterschiedlichen Temperaments projiziert es Bachs Musik in die Klangwelt des 20. Jahrhunderts, ohne freilich eine Note zu ändern. Bereits Anton Weber hatte auf diese Weise 1935 die berühmte sechsstimmige Fuge für ein Kammerensemble bearbeitet. Het Collectief setzt ihm mit seiner zerklüfteten Version des „Canon perpetuus“ ein augenzwinkerndes Denkmal.
Scheinbar am weitesten von den Spaltklängen à la Webern entfernt ist die grelle Hommage à Jimi H. Wie hier der vierstimmige Kanon mit Flöte, Bassklarinette, Violine und Cello den kreischenden Gitarensound Hendrix’ imitiert, ist verblüffend und konsequent. Auch die Zigeuner-Anklänge im zweistimmigen Augmentations-Kanon scheinen nur darauf gewartet zu haben, endlich einmal zu Gehör gebracht zu werden. Spieltechniken der Neuen Musik wie das tonlose Hauchen und Fauchen in der ‚Aeolian’-Fassung eines anderen Kanons oder eine moderne Concerto-grosso-Version des Canons für zwei Violinen unisono zeigen die Bandbreite, mit der Het Collectief das Musikalische Opfer auf den neuesten Stand bringt, ohne die Musik dabei zu vergewaltigen. Besonders profitiert auch die dreistimmige Eröffnungsfuge von der Prozedur: Auf dem Klavier treten die raffinierten Stimmverschlingungen und gewagten harmonischen Kombinationen ungemein plastisch hervor.



Georg Henkel



Besetzung

Thomas Dieltjens: Klavier, Orgel, Cembalo, Fender-Rhodes-E-Piano
Wibert Aerts: Violine
Martijn Vink: Cello
Toon Fret: Flöten
Benjamin Dieltjens: Klarinetten



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