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Musik an sich
 
Standstill Interview
 
Die fünf Jungs aus Barcelona kommen mit ihrem Merchandise-Mann in einem kleinen, weißen Van angefahren. Zu lautem, spanischem Dancefloor gröhlen sie mit. Das  irritiert mich etwas. Etwas später, nach einem fast einstündigem Soundcheck, sitze ich mit dem Sänger Enric und dem Bassisten Elias im Tour-Van.

MAS: Hallo erst mal! Ist mir eine große Ehre.
Elias: Hi!
Enric: Hallo, wir fühlen uns geschmeichelt.
MAS: "The Latest Kiss" ist euer neuester Release. Glaubst ihr, dass das der Weg ist, mit dem ihr die Elemente der Melancholie und Depression besser ausdrücken könnt?
Enric: Ich denke man kann sich selbst auf verschiedenen Arten ausdrücken und der Akustik-Weg ist eben einer davon. Wir wollten einfach mal ein bisschen damit rumexperimentieren.
Elias: Es ist aber auf jeden Fall das letzte, was wir in diese Richtung machen können.
Enric: Wir haben einige Akustik-Shows gespielt und wollten uns die Erinnerung so festhalten, da wir die Songs dafür verändert haben und auch einen neuen geschrieben haben. Es ist aber nicht so, dass man das als nächsten Schritt
unseres Werdegangs betrachten sollte. Dennoch sind wir sehr stolz darauf. Gerade ich finde die Version von "Memories Collector" besser als die ursprüngliche.
MAS: Habt ihr Defiance Records bearbeiten müssen, damit sie die Akustik EP veröffentlichen? Normalerweise verkaufen sich ja solche Art von Platten nicht so gut.
Enric: Die haben gleich zugestimmt. Das war gar kein Problem. Wir verstehen uns da sehr gut mit denen.
Elias: Ich denke auch, dass sie die Band mögen.
MAS: Natürlich!
MAS: Mit eurer Musik drückt ihr viele unterschiedliche Gefühle aus so wie Wut, Angst, Entwurzelung aber auch Melancholie oder Befreiung. Wie läuft das Songwriting bei euch?
Enric: Das passiert einfach. Wir machen das entweder daheim oder im Proberaum ohne irgendwelche Pläne. Wir übersetzen unsere Gefühle dann einfach in Musik. 
Elias: Man kann nicht sagen, das wird jetzt ein schneller und das ein langsamer Song. Das ist dann einfach so wie es ist.
Enric: Jeder hat viele, viele Gefühle und es geht einfach darum, zu lernen diese auszudrücken. Man lernt auch, wenn man anderen zuhört. Es gibt so was wie Werkzeuge um sich auszudrücken.
MAS: Ich möchte gerne mit euch über das Video reden, das auf "Memories Collector" drauf ist. Ich finde es toll! Es ist mir die Zeile aufgefallen: "At 25 I'm too young to think of what I could have been instead of what I can be". Das hat mich an eine Textzeile von Refused aus deren Song "Summerholidays vs. Punkroutine" erinnert.  Da heißt es "I'm tired of losing myself to some stupid childhood dreams of what I could have been". Ist Refused ein großer Einfluss oder fühlt und denkt ihr einfach nur ähnlich.
Elias: Ja, ich denke schon, dass Refused einer unserer Einflüsse ist. Wir lieben diese Band, doch neben denen gibt es noch eine Menge anderer Bands, die uns beeinflusst haben, nicht nur im Hardcore-Bereich.
Enric: Refused sind auch aus dem Grund ein großer Einfluss, da sie es geschafft haben mehr als nur den traditionellen Hardcore zu machen. Und so denke ich auch, dass es da vor allem in der offenen Herangehensweise Ähnlichkeiten gibt.
Eher als in der Musik, die wir machen. Da sehe ich nicht so deutliche Ähnlichkeiten.
MAS: Man hört auch oft At The Drive-In als Einfluss. Manche nennen euch ja sogar die europäischen ATD-I. Was meint ihr dazu?
Elias: Wir lieben die auch, aber die Ähnlichkeit sehe ich da mehr in der energischen Live-Performance. Von der  Musik her sind sie rockiger. Wo wir schon bei den Einflüssen sind fällt mir auch noch gleich Fugazi ein.
Enric: Wichtig ist einfach, die Sachen, die einen bei anderen Bands beeindrucken zu bündeln und dann von diesem Startpunkt aus einen eigenen Weg zu gehen.
Elias: Bei Fugazi ist es vor allem toll wie treu sie sich selbst geblieben sind. In Barcelona können die 2500 Leute in eine Halle bringen, aber trotzdem schleifen die ihre Verstärker selbst und touren in einem Van statt in einem Bus. Es ist ein bisschen Schritt für Schritt was sie machen.
Enric: Das sehe ich anders. Ich denke, sie sind einfach an einem Punkt angekommen. Sie sind zufrieden und wollen nicht mehr.
Elias: Stimmt!
MAS: Jetzt muss ich es aber mal ansprechen! Als ihr hergefahren seid, habt ihr sehr merkwürdige Musik gehört. Was sollte das?
(Elias und Enric lachen)
Elias (lacht weiter): Ja, das ist unser neues Album! Das war einfach Spaß-Musik mit witzigen Texten in einem bestimmten spanischen Dialekt. Es ist einfach Spaß und deshalb drehen wir auch voll auf.
MAS: Ihr scheint viel Spaß zu haben!
Elias: Ja, ich denke als allererstes sind wir Freunde und dann sind wir eben eine Band. Wir kennen uns gut und haben einfach ne Menge Spaß zusammen.
Enric: Wir machen auch nur Musik, wir arbeiten sonst nichts. Deshalb ist es sehr wichtig glücklich zu sein und Spaß miteinander zu haben, sonst würde das keinen Sinn machen.
MAS: Und ihr braucht wirklich keine Jobs?
(Elias und Enric lachen)
Enric: Doch bräuchten wir schon!
Elias: Wir überleben mit der Musik mehr als dass wir leben. Wir haben einfach keinen Bock irgendeinen beschissenen Job zu machen. Da machen wir lieber Musik!
Enric: Wir leben echt unter schlechten Bedingungen.
Elias: Wir haben mal viele verschiedene Sachen in vier Monaten gemacht und dafür unsere Jobs geschmissen...
Enric: Ja, und das ist jetzt zwei Jahre her.
Elias: Manchmal spielen wir ein bisschen am Theater mit und steuern da unsere Musik bei. Irgendwie bekommen wir das schon immer hin.
Enric: Demnächst werden wir für ne Weile in Sizilien sein und dort an einem Theaterstück mitarbeiten.
Elias: Und nächsten Jahr im April oder so führen wir dann unser eigenen Theaterstück in Barcelona auf.
Enric: Das ist sehr interessant für eine Band wie uns, auch mal so was zu machen. Das Theater ist eben noch ein Weg, sich auszudrücken. Wir haben da zwei Schauspieler, Projektionen, ....
Elias: Wir wollen immer was neues machen. Das treibt uns an und bringt uns weiter. Das sind tolle Erfahrungen.
Enric: Wir wollen einfach mehr machen als nur touren und aufzunehmen...
Elias: Obwohl das allein natürlich auch schon toll wäre.
Enric: Vor allem sind sich alle fünf in der Band auch immer sehr einig, was diese Dinge angeht.
MAS: Was du für das Video auf "Memories Collector" geschrieben hast ist sehr poetisch, wirklich beeindruckend. Du hast doch sicher zuerst auf spanisch geschrieben und es dann übersetzt, oder? Meinst du nicht, dass du dich auch in der Musik auf spanisch direkter und besser ausdrücken könntest?
Enric: Das ist im Moment die perfekte Frage für mich! Wir haben die letzten Tage viel darüber diskutiert, ob das nicht wirklich besser wäre und wir haben uns fast dazu entschlossen, die nächste Platte in spanisch zu machen. Sicher ist nichts, aber das ist schon wahr.
Elias: Es ist aber eben, dass es manchmal sehr komisch klingt, wenn man auf spanisch singt. Es ist aber auch so, dass es vielleicht nur komisch klingt, wenn man das als erstes macht.
Enric: Man muss es halt gut machen! Wie du siehst sind wir immer noch am diskutieren.
Elias: Wenn man auf spanisch singt ist aber auch die Gefahr, dass man ein
bisschen wie die großen Mainstream-Bands klingt.
Enric: Niemand interessantes hat das vorher versucht, daher ist der Reiz schon groß. Aber ganz klar ist da auch das Problem, was die Leute im Rest von Europa dann machen, wo uns auch ein paar Leute mögen.
MAS: Ich denke auch, dass es auf jeden Fall besser ist, wenn man es gut hinbekommt, sich auf der Muttersprache ausdrückt.
Enric: Eine Band, die mit uns auf Bcore Disc, unserem ersten Label ist, hat auf ihrer neuen Platte einen Song auf spanisch gemacht und der klingt sehr gut.
Elias: Wenn es was besonderes ist, ist es auf jeden Fall gut!
MAS: Ich möchte euch auf jeden Fall großes Kompliment für euer Video machen. Als ich es zum ersten Mal gesehen hab, hat es mich wirklich sehr stark berührt. Ich halte das alles für literarisch und emotional sehr, sehr wertvoll.
Enric: Danke, das ist toll für uns, da wir das mit unseren verschiedenen Ansätzen, uns auszudrücken bewirken wollen. Es ist auch so, dass wenn ich sehr persönliche Sachen von mir schreibe geht es nicht nur um mich, es geht um jeden.
MAS: In eurem Song "Break Your Shell" geht es darum, die Welt zu spüren und die Mauern um einen rum einzureißen. Glaubt ihr, dass das auch verletzlicher macht?
Enric: Ja, auf jeden Fall, ganz klar. Aber es ist wichtig. Die Mauern halten vieles von einem fern und schützen uns schlecht Sachen aber lassen auch gute nicht an uns ran. Wenn man die Welt um einen herum wirklich fühlen will, ist das aber unumgänglich. Es ist wichtig das eigene Leben nicht durch einen Bildschirm zu verfolgen sondern es zu (er)leben. In dem Song geht es aber auch um den Menschen, der sich als Krone der Schöpfung versteht. Vielleicht sind wir in verschiedenen Punkten besser ausgebildet, aber das ändert nichts daran, dass wir Tiere sind.
MAS: Ich verstehe das auch so, dass man Freude tiefer empfindet aber auch Gefühle wie Depression stärker spürt. Das ist ein großer Bestandteil, den ich in eurer Musik höre.
Enric: Ja, das ist ganz genau richtig.
MAS: In dem Video geht es auch darum, das zu finden, was für deinen Vater der Wald als Rückzugsgebiet und Erfüllung bedeutet hat. Fühlst du, dass du jeden Tag näher an deinen Wald kommst?
Enric: Ja, das tue ich. Und aus diesem Grund bin ich auch hier. Mein Wald ist eben, mit der Band zu touren, rumzureißen, jeden Tag neue Leute zu treffen, mein Leben zu leben, Spaß zu haben, ...
Elias: Die Frage nach dem Wald hat sich für mich in dem Moment beantwortet, als mein Sohn geboren wurde. Er wurde am ersten Oktober geboren und ist jetzt ca. sieben Monate alt. Als ich ihn zum ersten Mal auf dem Arm hatte, hab ich genau gewusst, dass es das ist. Als hätte ich meinen Wald auf dem Arm gehabt. Alle philosophischen Fragen waren einfach in dem Moment beantwortet. In diesem Augenblick hab ich alles verstanden.
MAS: Wie ist es für dich auf Tour zu sein, wenn du deinen Sohn deshalb nicht sehen kannst?
Elias: Ja, das ist ein Problem. Es ist hart, da ich meine Freundin und meinen Sohn sehr vermisse.
MAS: Wie heißt er eigentlich?
Elias: Auch Elias, wie ich. Das hat aber nichts mit Tradition zu tun oder so, meiner Freundin hat einfach der Name gut gefallen. Auch wenn ich sie riesig vermisse, denke ich, dass wenn ich das mit meinem Leben mache, was ich gerne  damit tun möchte, dass ich dann eine Art Vorbild für meinen Sohn sein kann. Ich habe keine großen Ziele und auch keinen Druck, ich möchte einfach das Leben leben und ich selbst sein. Und wenn ich das meinem Sohn vermitteln kann,
wäre ich sehr stolz. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn er mitkommen könnte auf Tour wenn er älter ist. Als wir letztens in Badalona, bei Barcelona, gespielt haben, hat jemand gesagt, dass mein Sohn sehr stolz auf mich sein wird. Das war sehr toll. Ich denke, dass er die Sache mit der Band und meine Lebensphilosophie verstehen wird.
Enric: Auch wenn es natürlich eine große Verantwortung ist, denke ich schon, dass das klappt und mit der Band zu vereinbaren ist.
MAS: Ja, das hoffe ich auch sehr, und ich bin überzeugt davon, dass dein Sohn stolz auf dich sein wird. Danke für das Interview!


Kevin Kirchenbauer

 

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