Musik an sich


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Mendelssohn, F. (Artemis Quartett)

Streichquartette Nr. 2, 3 & 6


Info
Musikrichtung: Kammermusik

VÖ: 04.04.2014

(Erato / Warner Classics / 2 CD / 2013 / Best. Nr. 0825646366903)

Gesamtspielzeit: 87:31



OPERATION GEGLÜCKT

Besetzungswechsel bei einem Streichquartett sind keine Seltenheit. Auch beim Artemis Quartett nahmen schon vor einiger Zeit an den Pulten der Mittelstimmen mit Gregor Sigl und Friedemann Weigle zwei neue Herren Platz. Von ihrer Kunst zeugen nicht zuletzt die abschließende Folge der Beethoven-Quartette sowie die drei späten Schubert-Quartette. Bei allen klanglichen Veränderungen wurde der kraftvolle, dynamisch und artikulatorisch reiche Ton des Ensembles bewahrt. Nun aber ging mit Natalia Prishepenko die Primaria – hier einen Ersatz zu finden, gleicht ein wenig der Operation am offenen Herzen. Prishepenkos dunkler, leidenschaftlicher Geigenton hatte den Artemis-Klang wesentlich mitgeprägt.
Umso schöner ist es, wenn mit Vineta Sareika das Pult der ersten Violinistin erneut besetzt werden konnte – und zwar sehr erfolgreich. Sareikas Ton ist lichter und lyrischer als derjenige Prishepnekos. Aber bei den jüngst eingespielten drei Quartetten von Felix Mendelssohn Bartholdy erweist sich diese Eigenart als ausgesprochen glücklich. Man merkt der Einspielung insgesamt die Freude der Musiker über die wiedergefundene Ganzheit an, so leuchtend, beschwingt und frisch klingt die Musik hier. Dass das Programm mit Mendelssohns brillantem Quartett Nr. 3., dem „Hochzeitsgeschenk“ an seine Frau eröffnet wird, ist dem Anlass mehr als angemessen. Die nachbarocke Motorik, die Mendelssohns Musik für die Ohren scheinbar schwerelos fließen und tänzeln lässt, kommt ganz unangestrengt zu ihrem Recht und all die kontrapunktischen Verwicklungen, die Mendelssohns Neigung zur Kunst der alten Meister kennzeichnen, werden luzide realisiert.
Unter Ausschöpfung eines breiten dynamischen Spektrums und einer reichen Farbpalette entfaltet sich der romantische Ausdruck der Musik zwischen sanglicher Innigkeit und expressiven Ausbrüchen aber auch im schmerzvollen Grabgesang des 6. Quartetts, das Mendelssohn auf den Tod seiner über alles geliebten Schwester Fanny komponierte und das auf gewisse Weise auch zu seinem eigenen kammermusikalischen Requiem wurde. Ein junger Geniestreich ist das vom gerade Achtzehnjährigen vorgelegte 2. Streichquartett, das sich mit den Steilvorlagen Beethovens und Schuberts misst, aber schon zu einem ganz eigenen Ton findet. Hier kommen bei den Artemis-Leuten die lyrischen Passagen in den langsamen Sätzen ebenso wenig zu kurz wie der gnomenhaft verspielte Humor, den Mendelssohn z. B. im uhrwerkartig schnurrenden Intermezzo aufblitzen lässt und der hier gleichsam eine Interpretation aus dem Geist der Minimalmusic erfährt.
Das Klangbild ist räumlich, klar, präsent.



Georg Henkel



Besetzung

Vineta Sareika / Gregor Sigl: Violinen
Friedemann Weigle: Viola
Eckhart Runge: Cello



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