Musik an sich


Artikel
25 Years after - Mein Leben mit der CD; Folge 26: Marillion - Fugazi





Im Mai 1988 habe ich eins der grandiosesten Alben der Rockgeschichte, das natürlich schon lange als Vinyl im Regal stand, als CD erworben. Leider gehört es auch zu einem der beiden LP-Pakete, die ich anfänglichen CD-Rausch verkauft habe. Bis auf meine Scorpions- und eben meine Marillion-Sammlung habe ich bis heute alle Vinyl-Scheiben, die ich je gekauft habe behalten.

Zu Fugazi fällt mir tatsächlich nur eine einzige negative Bemerkung ein: Nach diesem Album haben Marillion nie wieder die Klasse erreicht, die sie auf ihren ersten beiden Alben an den Tag gelegt haben.
Dagegen gibt es natürlich Widerspruch – und zwar von mindestens zwei Seiten. Am lautesten ist heute die Fraktion, die den Art-Rock, dem sich Marillion nach dem Ausstieg von Sänger Derek William Dick, aka Fish, immer mehr zuwendeten, als viel anspruchsvoller, erwachsener, innovativer bezeichnen, als die Alben mit Fish. Das halte ich zwar für ein Gerücht. Aber selbst wenn es stimmen würde, ist der Einwand irrelevant. Denn was da heute unter dem Namen Marillion veröffentlicht wird, hat mit der ursprünglichen Band rein gar nichts mehr zu tun.
Beachtenswerter sind da schon die Einwürfe, derjenigen, die darauf hinweisen, dass Marillion doch erst mit dem dritten Album Misplaced Childhood und der dort enthaltenen Single „Kayleigh“ den großen Durchbruch hatten. Wahr! Aber mit Misplaced Childhood gewinnt der Glättungsprozess, der auch auf Fugazi schon erste Spuren hinterlassen hat (und das Album darum ein klein wenig schwächer macht als das legendäre Debüt), bereits deutlichere Konturen. Der naiv progressive Charakter, der noch fast ungebrochen im 70er Prog Gewand daher kommt, wandelt sich langsam zum Neo Prog, wo er spätestens mit dem vierten Marillion-Album Clutching at Straws, dem letzten Studio-Album mit Fish, angekommen ist.

Marillion eröffnen ihr zweites Album mit einer der härtesten Nummern ihrer Bandgeschichte. Möglicherweise eine Reaktion auf eine eher merkwürdige Auszeichnung. 1982 oder 83 sind Marillion in England zur Heavy Metal(!) Band des Jahres gewählt wurden. Und ich musste in Hannover in den ersten Stock eines Plattenladens klettern, als ich mir Script for a Jester’s Tear kaufte, weil dort die Hard Rock- und Metal-Abteilung war. Diese Einsortierung dürfte einen doppelten Hintergrund haben; zum einen war die Marillion-Debüt-Single „Market Square Heroes“ ebenfalls recht hart; zum anderen war der Progressive-Rock Anfang der 80er so was von out, dass es praktisch kein Umfeld gab, in das man Script for a Jester’s Tear hätte einordnen können.
Im Disco-, New Wave- und Synthie-Pop-Umfeld waren es lediglich die Hard Rocker und Metaller, die zumindest zum Teil an anspruchsvolleren Kompositionen und instrumentalen Höchstleistungen festhielten – immerhin ein Anknüpfungspunkt für den verzweifelt nach einem passenden Regalfach suchenden Plattenladen-Mitarbeiter.

Heute gelten Script for a Jester’s Tear und Fugazi als entscheidender Anstoß dafür, dass der Progressive Rock in Gestalt des Neo-Progs und Prog-Metals Mitte der 80er und Anfang der 90er wieder auf der musikalischen Landkarte erschienen ist.


Norbert von Fransecky



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>