Musik an sich


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Schütz, H. (Hillier)

Lukaspassion


Info
Musikrichtung: Barock Passion

VÖ: 09.03.2009

(Dacapo / Naxos / CD / DDD / 2007 / Best. Nr. 8.226019)

Gesamtspielzeit: 60:00



PROTESTANTISCHE PASSIONS-IKONE

Als bibeltreue, streng gefügte A-Capella-Komposition ohne jeglichen Oratoriendekor könnte die Lukas-Passion von Heinrich Schütz noch heute jede evangelische, interessanterweise aber auch katholische Karfreitags-Liturgie bereichern. Dabei repräsentiert sie eine Tradition evangelischer Passionsmusik, die sich zum musikalischen Reichtum der späteren Werke J. S. Bach geradezu komplementär verhält. Schütz komponierte das Werk 1666 abgestimmt auf die gottesdienstlichen Gepflogenheiten in Dresden, wo die Instrumentalmusik in der Karwoche schwieg. Was erklang, hatte dem Anlass entsprechend schmucklos zu sein.
Im Ganzen ist das Werk darum von einer geradezu archaischen Einfachheit, ohne je simpel oder banal zu wirken: eine protestantische Passions-Ikone. Das alte, plastische Luther-Deutsch tut ein Übriges, die Ereignisse auf Golgatha von jedem frommen Pathos, wie es beispielsweise das 19. Jahrhundert kultiviert hat, freizuhalten. Mit eherner Konsequenz zieht die Geschichte an den Ohren des modernen Hörers vorbei. Wo die oratorischen Passionen späterer Zeiten die Ereignisse in Arien und Choraleinlagen reflektieren, bleibt der Hörer hier allein mit seinen Empfindungen. Nur der mottoartig knappe Eingangs- und Schlusschor schaffen einen Rahmen für die biblische Erzählung.

Die Worte Jesu, der Soliloquenten und des Evangelisten sind (Chor-)Solisten anvertraut, die Volksmenge dem Chor. Zwar ist das Rezitativ des Evangelisten weit von den geradezu luxuriösen Partien eines J. S. Bach entfernt. Aber der deklamatorische und rhythmisch freie, an die Tradition eines regulierten Lektionstones anknüpfende Vortrag ist dennoch nicht ausdrucksarm. Der hohe Tenor Johan Linderoth setzt bei seiner ungeglätteten Interpretation des Evangelisten stimmige Akzente, die das Geschehen zugleich in ein dramatisches und erhabenes Licht setzen. Gleiches gilt für den Bass Jakob Bloch Jespersen, der die Partie Jesus subtil emotionalisiert. Dagegen bedient sich der Chor bei den mehrstimmigen Turbae-Partien ausdrucksvoller Madrigalismen, die an Schütz´ Geistliche Konzerte erinnern und für die nötige Dramatik sorgen.

Solch eine „nackte“ Musik benötigt für eine überzeugende Interpretation einen diskreten Einsatz vokaler Kunstmittel, ohne in blässliche Askese zu verfallen oder die Kanten der Komposition abschleifen zu vollen. Paul Hillier und Ars Nova Copenhagen ist in dieser Hinsicht ein bemerkenswert authentischer Auftakt zu ihrer Reihe mit Schütz-Oratorien gelungen.



Georg Henkel



Besetzung

Jakob Bloch Jespersen: Jesus
Johan Linderoth: Evangelist

Ars Nova Copenhagen

Paul Hillier: Leitung


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