Musik an sich


Reviews
Feldman, M. (Schleiermacher)

Die späten Klavierwerke (Vol. I: Triadic Memories – Vol. II: For Bunita Marcus)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Klavier

VÖ: 23.01.2009

MDG / Codaex / CD / DDD / 2007 / Best. Nr. MDG 613 1521-2 (Triadic Memoris) & 613 1522-2 (For Bunita Marcus)



DER WEITE KLANG

FOR BUNITA MARCUS

Einen gewissen esoterischen Nimbus erlangten Feldmans späte Kompositionen vor allem durch ihre mitunter phantastische Dauer von mehreren Stunden. Ein Duo wie Patterns in a Chromatic Field, das ich in der letzten Ausgabe vorgestellt habe, nimmt sich da mit seinen 86 pausenlosen Minuten recht moderat aus. Doch bereits ein solcher Umfang eröffnet dem Komponisten Möglichkeiten, die ein klassisches 30-Minuten Stück nicht bietet, z. B. einzelnen Klängen über viele, viele Minuten zuzuhören und sie wie Lebewesen beim Werden und Vergehen zu beobachten. Es ist ein Geheimnis, wie es Feldman immer wieder gelingt, derartige Vorgänge mit einem Minimum an Material so zu gestalten, dass die Musik „in Gang bleibt“ und nicht etwa zerfällt. Er sprach diesbezüglich einmal von Stasis, dem Zusammenfall von Stillstand und Vibration.

Beispielhaft für die Konsequenz, auf alle musikalischen Reichtümer zu Verzichten, ohne das Stück an das Nichts zu verlieren, ist das späte Klavierwerk For Bunita Marcus (1985).
Steffen Schleiermacher hat es soeben als 2. Teil seiner Einspielung der späten Klavierwerke Feldmans vorgelegt. Mit rund 70 Minuten Spieldauer ist es ebenfalls ein „mittleres“ Stück. Die Reduktion ist total. Über weite Strecken wird das chromatische Feld, das der Komponist unter seinen Ohren hat, einfach in die unterschiedlichen Register des Klaviers hineinprojiziert. Einzeltöne und ihre „Schatten“ in subtil ausbalancierter Metrik folgen in unaufhörlichen kaleidoskopartigen Permutationen aufeinander. Das Material durchläuft kaum merkliche Metamorphosen, wird integriert und desintegriert, kehrt wieder, geht verloren, findet sich schließlich erneut, wenngleich in leicht veränderter Konstellation zusammen.
Bei dieser sublimen Musik übernimmt das voll und dauerhaft niedergedrückte linke Pedal des Flügels einen großen Teil der Arbeit und schafft Kontinuität. Die Klavierklänge schweben wie leuchtende Bälle im immens weiten Zeit-Raum des Stücks. Wunderschön.
Völlig außer Kraft gesetzt wird das Zeitempfinden des Hörers, es gibt nur noch Gegenwart. Das funktioniert sogar, wenn man die Anzeige des CD-Spielers im Blick behält. Verrückterweise scheint die Minute sehr viel schneller zu verstreichen als ohne die Musik. Am Ende kann man aber trotzdem kaum sagen, wie lange man gelauscht hat. Sieben oder siebzehn oder siebzig Minuten - es spielt eigentlich keine Rolle. Bei sehr leisem Aufnahmepegel lotet Schleiermacher die fragile Musik mit der erforderlichen Sensibilität aus. Jeder Ton sitzt am richtigen Platz, An- und Ausklang befinden sich in einem idealen Verhältnis.

TRIADIC MEMORIES

Überraschend dagegen, wie Schleiermacher Feldmans längstes Solo-Klavierwerk angeht (die Aufnahme ist bereits im Februar 2008 erschienen): Die Triadic Memories aus dem Jahre 1981 sind ungleich gestaltreicher als das jüngere Werk. Die durchschnittliche Aufführungsdauer der bisherigen Einspielungen lag zwischen 90 und 120 Minuten. Schleiermacher benötigt kaum mehr als 80 Minuten für diesen „Riesenschmetterling“ (Feldman). Den Beginn mit seinen Schraubendrehungen, die die Töne Cis, B, A und Gis durch alle Register des Klaviers wandern lassen, hat man wohl kaum zuvor in dieser Dichte gehört. Schleiermacher vermeidet indes vordergründige Geschäftigkeit und wahrt mit seinem sensiblen Anschlag stets die Abstraktion der Musik. Freiheiten in der Gestaltung der Tempi, z. B. durch kleine Rubati, sorgen allerdings dafür, dass sich die eigentlich glatte Oberfläche der Musik kräuselt.
Außerdem scheint mir das Tempo für die für Feldman so wichtigen Ausschwingvorgänge, in denen der Klang vernehmlich wird, im ersten Teil des Werkes doch etwas zu schnell. Der Ausklang eines vorausgehenden Ereignisses wird von einem nachfolgenden Einsatz angeschnitten. Bei den späteren, weit disponierten ein- und zweistimmigen Passagen und aufgebrochenen Akkorden hat man dagegen weniger das Gefühl, dass die Klänge mit sanftem Druck angeschoben würden. Die Transparenz des Notensatzes schafft genügend Raum für die Entfaltung des Klanges. So stellt Schleiermachers beherzterer Zugriff vor allem in solchen Momenten eine stimmige Alternative z. B. zu der wesentlich langsameren zweistündigen Einspielungen von Sabine Liebner dar.

Georg Henkel



Trackliste
Triadic Memories 80:46

For Bunita Marcus 71:48
Besetzung

Steffen Schleiermacher: Klavier


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