Musik an sich


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Hauer, J. M. (Rabl)

Werke für Orchester


Info
Musikrichtung: 20. Jh. Orchester

VÖ: 26.02.2007

CPO / JPC / JPC
SACD(2004/2005) / Best. Nr. 777154-2


Gesamtspielzeit: 72:49



WELTABGEWANDTE NOTENZUCHT

Noch bevor Arnold Schönberg mit den ersten zwölftönig komponierten Werken hervortrat, hatte bereits sein Landsmann und Zeitgenosse Josef Matthias Hauer (1883-1959) ein Verfahren entwickelt, sämtliche 12 Töne der temperierten Skala nach einer bestimmten Methode zu verarbeiten. Klanglich liegen zwischen den beiden Techniken allerdings Welten. Schönbergs von Beginn an umstrittene dissonante und wild zerklüftete Musik setzte sich als „die Zwölftonmusik“ durch und erhielt u. a. durch Theodor W. Adorno höchste musikphilosophische Weihen. Schönbergs Verfahren repräsentierte für ihn den „historischen Stand des musikalischen Materials“, hinter den kein ernstzunehmender Komponist zurück könne. Hauers bei aller Avanciertheit wesentlich moderatere und „weichere“, für moderne Ohren auch esoterischer klingende Musik blieb randständig, ein origineller Sonderfall für Musikhistoriker.

Vor allem die zahllosen Zwölftonspiele aus der letzten Schaffensphase, bei denen die Noten wie Perlen auf eine Schnur gezogen und nach genauen Regeln in den einzelnen Stimmen wiederholt und kombiniert werden, klingen wie eine Art chromatische Minimal-Music: Zwölfton-Mantras sozusagen, mehrheitlich abstrakt-meditativ, ganz auf sich selbst bezogene Ornamente, die eine gewisse Nähe zu Jugendstil und Art-Deco nicht verleugnen. Diese weltabgewandte Notenzucht verweist in ihrer subtilen modalen Wirkung allerdings auch in vorromantische Epochen, Mittelalter und Renaissance.
Vielleicht ist es der kontemplative, metaphysisch-mystische Charakter u. a. der „Spiele“, die die Musik zum Zeitpunkt ihrer Entstehung weit weniger zeitgeistig als diejenige Schönberges, Alban Bergs oder Anton Weberns erscheinen ließ. Selbst Weberns asketische Formulierungen sind vergleichsweise komplex und expressiv. Und wie bei Schönberg sind bei ihm die Zwölftonstrukturen für den Hörer nicht ohne weiteres herauszuhören: Die Reihe und ihre Umformungen bleiben im Ganzen des Werkes verborgen.
Anders Hauer, bei dem die Reihe bereits das Werk ist, sie erklingt daher ständig im Vordergrund. Hauer scheint es dabei allein um das Objektive zu gehen, nicht um subjektiven Ausdruck, und sei er noch so sublimiert. Höchste Geistigkeit – was immer sich im Einzelnen dahinter verbergen mag - war sein erklärtes Ziel. Praktisch sieht das so aus, dass aus der durch bestimmte Regeln gewonnen Grundreihe alle übrigen melodischen, harmonischen und schließlich auch klangfarblichen Parameter bis hin zu den Einsätzen der Instrumente abgeleitet werden. Jede Zwölftonreihe ist im Grunde eine Keimzelle oder Formel, die das ganze Werk in nuce enthält. Mehrmaliges vertieftes Hören sensibilisiert für die Feinheiten dieser auf den ersten Blick gleichmäßig – um nicht zu sagen: eintönig - vor sich hin schreitenden Musik, die sich dann als doch als vielschichtig entpuppt.

Von den Ergebnissen dieser elementaren Suche kann man sich auf dieser sehr kompetenten Einspielung von Orchesterwerken Hauers durch das Radio-Symphonieorchester Wien unter Gottfried Rabl überzeugen. Während die Apokalyptische und die Romantische Phantasie op. 5 und op. 37 aus atonal erweiterten, höchst klangsinnlichen spätromantischen Gefilden herübertönen – wenngleich mit der für Hauer offenbar typischen lakonischen Ruhe – vernimmt man in der VII. Suite op. 48 und dem – relativ verspielten und ausdrucksvollen, keinesfalls akademischen - Violinkonzert op. 54 seine Zwölftonmethode gleichsam in ihrer observanten Form. Zwei kurze, auch im Vergleich mit den übrigen Beiträgen noch weitere komprimierte, streng konstruktivistische Zwölftonspiele runden dieses hochwillkommene Porträt ab.



Georg Henkel



Trackliste
01 Apokalyptische Phantasie op. 5 08:55
02 Romantische Phantasie op. 7 18:24
03-07 VII. Suite op 48 16:27
08-10 Violinkonzert op 54 16:29
11 Zwölftonspiel (09.08.1957) 06:30
12 Zwölftonspiel (22.09.1957) 06:04
Besetzung

Thomas Christian, Violine

Radio-Symphonieorchester Wien
Ltg. Gottfried Rabls


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