Musik an sich


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Bach, J.S. (Stambolov)

Klavierkonzerte Nr. 1, 3, 7


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 01.03.2004

Meta Records / Note 1 (CD DDD (AD: 2003) / Best Nr.: meta 022)

Gesamtspielzeit: 52:27

Internet:

Meta Records



NEUARTIG UND SPANNEND: BACHS KLAVIERKONZERTE IN KLEINSTER BESETZUNG

Wieso eigentlich sprechen alle von Hélène Grimaud, wenn sich doch abseits des Star- und Werberummels die wirklich interessanten Entwicklungen abzeichnen?!

Die Klavier- bzw. Cembalokonzerte Nr. 3 und Nr. 7 sind Transkriptionen, die Bach selbst auf Grundlage seiner Violinkonzerte Nr. 1 und 2 (BWV 1041 und 1042) erarbeitete. Auch bei dem Klavierkonzert Nr. 1 in d-moll liegt die Annahme nicht fern, dass es sich ursprünglich ebenfalls um ein Violinkonzert handelte. Die Konzerte erfreuen sich allesamt sowohl in der Originalfassung, wie auch in Gestalt der Transkriptionen großer Beliebtheit.
Unter Federführung des 1973 geborenen bulgarischen Pianisten Vesko Stambolov ist nun eine Einspielung der genannten drei Konzerte entstanden, die ein neues Licht auf jene wohlbekannten Werke wirft. Stambolov geht gedanklich von der Gebrauchsfunktion dieser Stücke aus, die sich demnach in unseren Kategorien als "U-Musik" bezeichnen ließen: nämlich als gut-bürgerliche Unterhaltung etwa im Rahmen der damaligen Leipziger Kaffeehauskonzerte.
Solche Konzerte aber vertragen naturgemäß nur eine kleine bis kleinste Besetzung und so hat Stambolov das Experiment gewagt, das "Orchester" in bloßer Quartettstärke antreten zu lassen, also mit 2 Violinen, einer Bratsche und einem Cello. Alle Ausführenden bedienen sich dabei moderner Instrumente, ohne dass jene Besetzung oder ihr Spiel das Erbe des historischen Aufführungspraxis verleugnen würde. Mit der eigenwilligen Besetzung geht eine Verschiebung einher, an die man sich erst gewöhnen muß, die aber manche aufregend neuartige Perspektive eröffnet: Der Klavierpart gerät (begünstigt auch durch die Aufnahmetechnik) stärker in den Vordergrund, das "Concertare" tritt ein wenig zurück, dafür werden differenzierte Strukturen im Orchesterpart offenbar. Möglicherweise hätte sich hier durch den Einsatz historischer Instrumente insgesamt sogar noch ein ausgewogenerer Blick gewinnen lassen. Dann allerdings wäre der Rückgriff auf das Cembalo als Tasteninstrument unausweichlich und der besondere Pfiff eines Bach´schen "Klavierquintetts" dahin gewesen.
Wer dennoch den Klang einer solchen Alternativbesetzung erfahren möchte, kann zudem bereits auf die Einspielung der Konzerte mit dem Ensemble Musica Alta Ripa bei MDG zurückgreifen.

Wäre jene neuartige Sichtweise an sich schon Grund genug, die Aufnahme zu loben, so bietet hierfür das hochvirtuose und einfühlsame Spiel Vesko Stambolovs noch weit mehr Anlaß. Blitzschnell läßt er eine heiter-verspielte Stimmung in satztechnisch-logischen Ernst umschlagen. Und während in den schnellen Ecksätzen die Läufe perlen und die Verzierungen hell aufscheinen, werden die Mittelsätze erst recht zum Aha-Erlebnis: Stambolov gelingt es, sie in einen verschatteten, melancholischen Schwebezustand zu versetzen, der weit in die Zukunft der Romantik vorausweist, ohne seinerseits romantisierend oder kitschig zu sein. Dass Bach nicht nur mathematisch, sondern auch anrührend emotional sein kann, wird hier überdeutlich. Dabei hat Stambolov die Werke nicht satz- oder abschnittsweise im Blick. Er schafft vielmehr eine satzübergreifende interpretatorische Architektur von höchster Überzeugungskraft.
Die Mitstreiter im begleitenden Quartett der Streicher passen sich Stambolovs Ideen hervorragend geschmeidig und technisch fehlerlos an.

Das klare, trockene Klangbild und das informative Booklet runden den positive Gesamteindruck ab.
Fazit: Vielleicht die spannendste Einspielung der Bach´schen Klavierkonzerte seit langem.
Für alle, die es nicht glauben wollen: Auf der oben angegebenen Homepage von Metarecords gibt es ein paar Kostproben zum Reinhören.



Kerkhoff, Sven



Trackliste
1-3 Klavierkonzert Nr. 3 in D-Dur (BWV 1054)
4-6 Klavierkonzert Nr. 7 in g-moll (BWV 1058)
7-9 Klavierkonzert Nr. 1 in d-moll (BWV 1052)
Besetzung

Vesko Stambolov, Klavier
Yosif Radionov und Zefira Valova, Violine
Petya Ivanova, Viola
Christo Christov, Cello


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