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Musik an sich
 
Der TRAUM VOM ORIENT - Klassische Weltmusik mit Concerto Köln und Sarband
(Deutsche Grammophon Archiv DDD (AD 2002) / 474 193-2)
Klassik / Weltmusik - Instrumental / Vokal
 

Dream of the Orient (Klassische europäische und türkische Musik)
Concerto Köln (Ltg. Werner Erhard) - Sarband (Ltg. Vladimir Ivanoff)

www.deutschegrammophon.com / www.klassikakzente.de

Crossover ist tot? Es lebe Crossover - zumindest, wenn er zu Ergebnissen wie der vorliegenden Aufnahme führt. "Concerto Köln", bekannt für seine Ausgrabungen unbekannter Musik vor allem des 18. und inzwischen auch des frühen 19. Jahrhundert, unternimmt hier mit dem auf klassische türkische Musik spezialisierten Ensemble "Sarband" eine Reise nicht nur in die musikalische Vergangenheit, sondern auch in den fernen Orient.

"Der Traum vom Orient" - das ist im westlichen Europa des 18. Jahrhunderts eine Mischung aus Faszination, Abenteuerlust, galanten Fantasien, Kriegsangst und Heile-Welt-Utopien. Noch 1683 hatten die türkischen Heere wieder einmal vor den Toren Wiens gestanden. Da war der Traum noch ein "Alptraum". Erst nachdem der "Erbfeind des christlischen Abendlandes" vernichtend geschlagen worden war, konnte aus der einstigen Bedrohung eine regelrechte Mode werden. Was wäre Wien ohne seine Kaffeehäuser? Reisende berichteten von der Pracht und Herrlichkeit der Sultane und ihrer Paläste, während Kunsthandwerk und Ornamentik westliches Design inspirierten. Erzählungen über die geheimnisvollen, von schönen Frauen bevölkerten Serails beförderten pikante Spekulationen über das Liebesleben der Muselmanen. Und der einstmals kriegerische, häufig auch dämonisierte Türke wandelte sich zum Wunsch- und Projektionsbild westlicher Sehnsüchte. Aus ihm wurde je nach Bedarf der kultivierte Liebhaber, der tolerante Weise oder der ritterliche Edelmann.

Wie kaum je zuvor wandte sich in jener Zeit der Okzident fremden Welten und Kulturen mit Neugierde, Offenheit, aber auch mit Eroberungslust zu. Mit dem Sinn fürs Exotische, noch nie Gesehene und Gehörte wuchs auch die Neugierde auf die orientalischen Musik. Als "Botschafter" fungierten dabei in erster Linie die türkischen Musikensembles, die von den Sultanen in diplomatischer Mission als Gastgeschenke an Europas Höfe entsandt wurden - und deren Mitglieder nicht selten als Schlagzeuger in westliche Orchester übernommen wurden. Dazu kamen die Militärkapellen der Janitscharen, einer wegen ihres Mutes und ihrer Kampfkraft bekannten und gefürchteten Kriegerelite. Hier waren es vor allem die Rhythmusinstrumente wie Becken, Triangel und große Trommel, die bei den europäischen Komponisten Eindruck machten. Noch die Hammerklaviere um 1800 (die Vorfahren der heutigen Konzertflügel) wurden mit einem "Janitscharenzug" ausgestattet. Wie dieses eingebaute Schlagzeug klingt, ist eindrucksvoll nachzu hören auf einer Aufnahme mit Divertissements von Franz Schubert, gespielt von Andreas Staier und Alexei Lubimov, Teldec / Warner Classics 1998.

Auf der aktuellen Produktion kann man nachhören, dass sich das spezifisch "orientalische" Kolorit abendländischer Musik fast ausnahmslos der Einbeziehung von Schlag-Instrumenten und der Betonung des rhythmischen Elements verdankte. Man übernahm das, was sich in westliches musikalisches Denken integrieren und kompositionstechnisch handhaben ließ. Den ausdrucksvollen Melos, die Vierteltonchromatik, das komplexe Metrum und die weit ausschwingenden Bögen türkischer Musik, wie sie das Ensemble Sarband hier exemplarisch vorführt, klingen bestenfalls von Ferne an.
Am authentischsten ist da noch die gleichsam musikethnographische Skizze eines gewissen Marquis de Ferriol, die für die gemeinsame Wiedergabe durch Concerto Köln und Sarband allerdings erst arrangiert werden mußte (Track 4). Bei solchen Kooperationen gelingt eine Fusion von Ost und West vielleicht noch am ehesten, weil die exotischen Instrumente einmal nicht nur als Dekor dienen und sich umgekehrt die Musiker von Concerto Köln orien

Ansonsten darf man sich hier den türkischen und westlichen Originalen in all ihrer faszinierenden, aber auch unterhaltsamen Eigenart und Fremdartigkeit überlassen. Wie wenig martialisch die Janitscharen-Musik klingt, wenn sie vom Ensemble Sarband mit Raffinesse und subtil ausbalancierten Klangfarben dargeboten wird, kann man z. B. unter Track 8 hören. Mit den stampfenden Marschrhythmen der westeuropäischen Komponisten hat diese entspannt swingende, leichtfüßige Musik nichts zu tun. Auch der "Auftritt des Sultans" (Track 12) klingt nicht nach einer pompösen Zeremonialmusik, sondern weht wie ein Traum aus tausendundeiner Nacht herein.
Wie anders trumpft da das entsprechende Gegenstück aus einer Ballettmusik auf, die der Mozartzeitgenosse Joseph Martin Kraus (1756-1792) für seine Oper "Soliman II." geschrieben hat (Track 13). Andererseits: Wären da nicht die kräftigen Farben von Sarband, würde Kraus' Janitscharen-Marsch (Track 16) kaum einen solchen Effekt machen.

Klar, dass neben der Ouvertüre zu Christoph Willibald Glucks "Die Pilger von Mekka" auch W. A. Mozart "Entführung aus dem Serail" nicht fehlen durfte. Dank der improvisierten Einleitung durch die Musiker von Sarband und einer überraschend variierten Schlusskadenz klingt das vielgespielte Stück, das im übrigen hinreißend schwungvoll und mit kraftvoll tönendem Schlagwerk in Szene gesetzt wird, frisch und unverbraucht. Zum Finale gibt's noch eine richtige "Sinfonia turchesa" in vier Sätzen vom Mozart-Schüler Franz Xaver Süßmayr. Die musikalische Substanz mag zwar nicht sonderlich groß sein. Aber auch hier gilt: Wenn man dieses Werk schon aufführt, dann bitte so wie hier! Besonders die knalligen gegenläufigen Rhythmen der großen Trommel (der türkischen Davul) im Allegro, die wahrscheinlich nicht einmal so notiert, sondern improvisiert sind, machen aus dem simpel gestrickten Stück geradezu aufregende Musik (Track 23).

Alles im allen eine ungewöhnliche Koproduktion zweier origineller Ensembles, die den "Traum vom Orient", der gegenwärtig wieder mehr einem Alptraum gleicht, in schillernden Farben erblühen läßt. Und ein gelungener Auftakt des Exklusivs-Vertrags, den Concerto Köln mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft im September letzten Jahres auf fünf Jahre abgeschlossen hat.

17 von 20 Punkte

Georg Henkel

 

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