Musik an sich


Reviews
Orff, C. (Sawallisch)

Antigonae


Info
Musikrichtung: Neue Musik Oper

VÖ: 15.02.2010

(Hänssler Classics / Naxos 2 CD / live mono 1958 / Best. Nr. DCD PH09066)

Gesamtspielzeit: 140:00



KULTISCH

Carl Orff hat mit seinem antikisierenden Tragödien-Musiktheater um Antigonae, Oedipus (von Sophokles in der deutschen Nachdichtung von F. Hölderlin) und Prometheus (von Aischylos im griechischen Original) wirklich etwas Neues geschaffen. Der Personalstil ist hier so ausgeprägt, dass es unmöglich ist, in dieser Art weiter zu komponieren, ohne Orff einfach zu imitieren. Das spricht dafür, dass es dem Komponisten gelungen ist, einen hohen Grad musikalischer Stilisierung zu erreichen. Archetypischer verdichtete Musik hat wohl kaum ein Komponist im 20. Jahrhundert geschrieben.

Doch die aus der Einheit von Sprache, Rhythmus und Bewegung geborene Ästhetik hat es schwer auf modernen Bühnen. Das liegt auch an dem instrumentalen Aufwand. Denn nicht das klassische Sinfonieorchester kommt zum Einsatz, sondern vor allem ein riesiges Schlagwerk mit Instrumenten aus aller Welt. Zur weiteren Kolorierung können z. B. noch hinzutreten: ‚Chöre‘ von Kontrabässen, Klavieren, Trompeten, Posaunen, Flöten, Oboen. Das Ganze ist also ein Art Rhythmus-Orgel, die pointiert zum Einsatz kommt: Mal begleitet sie Silbe für Silbe den vokalen Vortrag, mal interpunktiert sie ihn durch kurze Einwürfe. Mal setzt sie ihn durch rauschende ostinate Klangfelder unter Spannung, dann wieder schwingt sie sich zu großen Ausbrüchen auf. Eigentümliche Farbmischungen schaffen zudem eine numinose Atmosphäre.
Ohne das Wort, dem sie dient, ist diese Musik allerdings nicht lebensfähig. Bei der Stimme nutzt Orff alle Grade zwischen Sprechen, gehobener Deklamation und melismatischem Gesang. Mit psychologischer Ausleuchtung wie bei Wagners „Ring“ oder in Richard Strauss‘ „Elektra“ hat das nichts zu tun. Die Behandlung von Instrumenten und Stimmen dient allein der Verkörperung des Textes im ‚leibhaftigen Wort‘. Dieses Wort ist Träger archetypischer, elementarer Gefühle und Schicksale.
Orff hatte eben nicht die psychologisierende spätromantischen Oper, sondern, in Anknüpfung an die antike Tragödienpraxis, ein kultisches Theater im Sinn. So versagt er sich in seinen späten Werken jene melodische Opulenz, die seine noch üppig instrumentierte Carmina Burana zum Superhit machte.

Jüngst ist jetzt ein neuer Mitschnitt einer Münchener Aufführung von Orffs Antigonae erschienen. 1949 in Salzburg mit eher mäßigem Erfolg uraufgeführt, gewann es vor allem in den 50er Jahren ein zunehmend aufgeschlosseneres Publikum. Wegmarken setzen Einspielungen von 1951 unter George Solti (Antigonae: Christel Goltz) und 1956 unter Ferdinand Leitner (Antigonae: Martha Mödl). 1958 stand Wolfgang Sawallisch am Pult des orffgemäß umgerüsteten Bayerischen Radiosinfonie-Orchesters. Sawallisch‘ streng ‚objektive‘ und zugleich vorwärtsdrängende Lesart lässt keine Längen aufkommen. Zwar wurde die Produktion 1958 noch in Mono aufgezeichnet, das Klangbild ist aber durchaus akzeptabel, zumal die Nebengeräusche sich sehr in Grenzen halten. Anders als bei der 1956 in Stuttgart mitgeschnittenen hochdramatischen Version unter der Leitung von Ferdinand Leitner trüben keine Balanceprobleme und musikalische Unsauberkeiten den Eindruck (großes Lob an die Herren des Rundfunkchores!). Auch Soltis Version ist mit solch Mängeln ziemlich behaftet.
Bei Sawallisch dagegen treten die Qualitäten von Martha Mödl in der Hauptrolle ungebrochen zu Tage: Imposant, wie sie die hochgespannte Partie ohne Erschöpfung darbietet. Gleich vom eröffnenden, hoch gesetzten „Gemeinsamschwesterlich, o Ismenes Haupt“ überwältigt sie durch ihre glühende Präsenz. Sehr stark auch Josef Traxl als entflammter Seher Tiresias. Dagegen wirkt der unter dem Joch des göttlichen Gesetzes stehende Kreon von Carlos Alexander fast schon beherrscht, besticht aber durch die ungemein prägnante Diktion. Fritz Uhl verleiht Hämon einen tragischen jugendlichen Idealismus, der sehr authentisch wirkt. Auch die kleinen Rollen sind trefflich besetzt: Lilian Benningsen legt ihre Eurydice ebenfalls klar, ohne opernhafte Attitüde an. Marianne Radev stellt der Antigone der Mödl eine dunkel timbrierte Ismene gegenüber und Paul Kuen setzt als übereifriger Wächter einige humorvolle Akzente.

Die Veröffentlichung dieser alten Aufnahme allerdings ist nicht besonders günstig, das Beiheft überdies recht spartanisch geraten. Aber angesichts der musikalischen Qualitäten wird das echte Fans nicht abhalten. Wer auf Stereoqualität dennoch nicht verzichten möchte: 1961 entstand eine Studioproduktion der Antigonae bei der Deutschen Grammophon unter Ferdinand Leitner mit Inge Borgh in der Hauptrolle. Inzwischen ist die CD-Version wieder in Lizenz beim amerikanischen Versand Arkive Music erhältlich (auf der Seite der DG nur als Download). Sie bringt das Werk ungekürzt auf 3 CDs und in der von Orff vorgesehen Orchesterbesetzung mit sechs Klavieren. Leider erreicht Leitner hier nicht ganz die Spannung seiner Live-Produktion, auch sind die guten sängerischen Leistungen nicht von gleicher Intensität. Technisch freilich ist sie den Mitschnitten überlegen.



Georg Henkel



Besetzung

Martha Mödl: Antigone
Marianne Radev: Ismene
Carlos Alexander: Kreon
Josef Traxl: Tiresias
William Dooley: Chorführer
u. a.

Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Wolfgang Sawallisch: Leitung


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>