Musik an sich


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Satie, E. (Tharaud)

Avant-dernières Pensées – Klavier- und Kammermusik


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne

VÖ: 13.02.2009

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2008 / Best. Nr. HMC 902017.18)

Gesamtspielzeit: 120:07



DER BEKANNTE UNBEKANNTE

Mit befreundeten Musiker- und Sänger/innen hat der Pianist Alexandre Tharaud ein ebenso tiefgründiges wie amüsantes Satie-Album unter dem Titel Avant-dernières Pensées - Vorletzte Gedanken eingespielt. Auf zwei CDs wird der Hörer durch das bunte Reich von Saties bekannter wie unbekannter Kammermusik geführt.

Der bekannte Satie: Das ist vor allem der Komponist der Gnossiennes und der Gymnopédies. Bei Tharaud fungieren letztere, von denen Satie sieben komponierte, als roter Faden auf dem ersten Album, das er als Solist bestreitet. Diese so reduzierte und doch unvergleichlich poetische Musik präsentiert er leichthändig und geschmeidig, mit fein abgestuftem Anschlag. Dabei liegt seine Einspielung mehr im Mainstream der Satie-Interpretation als z. B. die vor kurzem erschienene Platte mit der Pianistin Claire Chevallier (Zig-Zag-Territoires), die auf einem historischen Erard-Flügel über Klangfarben mit vergleichsweise indirekter Beleuchtung verfügte. Was bei ihr streng und hieratisch wirkte, klingt bei Tharaud wesentlich verbindlicher, ohne dass er dabei aus Satie wieder einen putzigen Salon-Komponisten machen würde.
Der große Rest – das ist der weithin unbekannte Satie. Der exzentrische Franzose hat zahlreiche denkwürdige Stücke komponiert, die die U- und E-Musik seiner Zeit unbekümmert mischen, zwischen Ernsthaftigkeit, Dada und Surrealem changieren und gekonnt mit den überlieferten Formen und ihrem Vokabular jonglieren.
Bei diesen oft kurzen, witzigen Würfen imaginiert man kleine Sketche oder Cartoons und hört heraus, dass Satie sein Geld als Pianist in Pariser Kabaretts verdient hat. Manches wirkt dabei geradezu kühn, z. B. die Manipulation der Klaviersaiten mit durchgezogenen Papierstreifen, um einen strohigen Klang zu erzeugen (Le Piège de Mèduse). Das klingt dann zwar mehr wie eine verknisterte Radioübertragung, darf aber wohl als Urahn von John Cages Prepared Piano gelten.
Auch sonst beweist der Komponist immer wieder parodistischen Humor, wenn er mit Klischees von Form und Ordnung spielt und sie durch Übertreibungen desavouiert. Manche Stücke weisen ihn mit ihren exzessiven Wiederholungen als Vorläufer der Minimalisten aus, wobei die Repetitionen bei Satie allerdings nichts Mechanisches haben, sondern entweder ironisch oder beklemmend wirken.
Auch die vierhändigen Stücke auf der zweiten CD, die Tharaud mit Eric Le Sage eingespielt hat, stecken voller Überraschungen. Wer hätte schon gedacht, dass die Trois Morceaux aus diversem Material aus Saties Skizzenbüchern bestehen? Sie wirken wie aus einem Guss, gleichsam wie die opulenteren Geschwister der Gymnopédies.
Mit der Chansonsängerin Juliette und dem Tenor Jean Delescluse hat Tharaud einige Lieder Saties aufgenommen. Mit ihrer heiser-rauchigen Varietée-Stimme ist Juliette eine passende Besetzung für diese charaktervollen, oft absurd komischen Stücke. Surreal verdreht, aber ernsthaft in Musik gesetzt sind die Gedichte von Léon Paul Fargue, für die Delescluse in den Ludions das richtige Timbre findet: klar, hoch, sehr französisch.
Bei den kammermusikalischen Duos unterstützen Tharaud außerdem noch die Geigerin Isabelle Faust und – für flotte 60 Sekunden in La Statue retrouvée – der Trompeter David Guerrier.

Eric Satie erweist sich in dieser gelungenen Zusammenstellung als Komponist jenseits aller Kategorien, der von der Außenseiterposition aus den musikalischen Betrieb seiner Zeit geistreich kommentierte und persiflierte, darüber aber auch zu einer ganz eigenen, phantastischen Musik gefunden hat.



Georg Henkel



Trackliste
CD I

O1 Gnossienne n°1
02 Petite Ouverture à danser
03 Première Gymnopédie
04-06 Véritables Préludes flasques (pour un chien)
07 Gnossienne n°2
08-10 Les Trois Valses distinguées du précieux dégoûté
11 Gnossienne n°3
12 Le Piccadilly
13-15 Descriptions automatiques
16 Quatrième Gnossienne
17 Les pantins dansent
18-24 Sept Pièces pour piano - Le Piège de Méduse
25-27 Pièces froides
28-30 Avant-dernières Pensées
31 Gambades
32-34 Embryons desséchés
35 Cinquième Gnossienne
36 Valse-ballet 1'34
37-39 Heures séculaires et instantanées
40 Première Pensée Rose+Croix
41 Poudre d'or
42 Sixième Gnossienne

CD II

01-07 Trois Morceaux en forme de poire, pour piano à quatre mains
08 Je te veux, valse chantée (texte de Henry Pacory)
09 Chez le docteur (texte de Vincent Hyspa)
10 J'avais un ami (anonyme)
11 La Diva de l'Empire (texte de Dominique Bonnaud et Numa Blès)
12-16 La Belle Excentrique, fantaisie sérieuse pour piano à quatre mains
17-19 Choses vues à droite et à gauche (sans lunettes)
20 Cinéma (transcription de Darius Milhaud, à quatre mains)
21 Daphénéo (texte de M. God)
22-26 Ludions (textes de Léon Paul Fargue)
27 La Statue retrouvée, divertissement pour trompette en Ut et ipano
28 Embarquement pour Cythère
29 Allons-y Chochotte (texte de D. Durante)
Besetzung

Alexande Tharaud & Eric Le Sage: Klavier
Juliette & Jean Delescluse: Stimmen
Isabelle Faust: Violine
David Guerrier: Trompete


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