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Timo Kotipelto (Ex-Stratovarius) - zwischen Ende und Neubeginn

Info
Gesprächspartner:
Timo Kotipelto


Zeit: 08.03.2004, 19:00

Ort: Dortmund

Interview: Face2Face

Stil: Heavy Metal

Internet:
www.kotipelto.com
Die letzten Monate waren für Timo Kotipelto, wie auch für seine ehemaligen Kollegen von Stratovarius, ereignisreich und anstrengend - wie es der Zufall wollte kam dem Sänger auch noch die Arbeit an seinem (eigentlich schon für Februar geplanten) zweiten Solo Album Coldness dazwischen. Und natürlich die letzten, vertraglich zugesicherten Gigs mit Stratovarius, die ob der Streitereien zwischen Kotipelto und Gitarrist Timo Tolkki sicherlich in keiner allzu entspannten Atmosphäre stattfinden werden. Trotzdem präsentiert sich der finnische Sänger in erstaunlich guter Stimmung, als ich ihn bei seiner deutschen Plattenfirma Century Media besuchen durfte...

MAS:
Wie geht's dir?

Timo Kotipelto:
Sehr gut. Ich hatte heute schon einige Interviews... (zeigt auf einen langen Zettel mit Interviewterminen)

MAS:
Magst du Interviews? Den ganzen Tag?

TK:
Sie sind in Ordnung - allerdings ist es schwer, acht oder neun Stunden am Stück zu reden, es geht an die Stimme. Reden ist für mich viel anstrengender als Singen, denn wenn ich singe weiß ich, wie ich zu atmen habe und welche Techniken ich anwenden muss. Beim Reden vergisst man das.

MAS:
Meinetwegen kannst du deine Antworten auch ins Diktiergerät singen...

TK:
(singt ein melodisches "Okay")

MAS:
In letzter Zeit war der Stratovarius Split eines der beliebtesten Themen in der Metal Szene - stört es dich nicht, dass jeder über den Split redet und kaum einer über dein neues Album?

TK:
Es ist inzwischen ein wenig langweilig, ich habe schon seit ein paar Monaten genug von der Band. Aber natürlich kann ich es verstehen, dass die Leute daran interessiert sind. Schließlich ist es auch ein Teil meiner eigenen Lebensgeschichte, da ist das allgemeine Interesse ganz natürlich. Ich interessiere mich zum Beispiel sehr für Formel 1 - wenn du ein großer Fahrer wärest würde ich auch wissen wollen, warum du dies oder jenes tust.

MAS:
Ist die zeitliche Überschneidung des Stratovarius Splits und deiner zweiten Albumveröffentlichung vielleicht sogar eine ganz gute Werbung für dich?

TK:
Ich habe die Veröffentlichung dieses Albums schon vor einem Jahr geplant. Vor zwei Wochen, als ich die ersten Interviews gab, wurde mir von einigen finnischen Journalisten gesagt, dass diese Überschneidung gut für mich sei. Ich habe das nie so gesehen, während der letzten vier oder fünf Monate war ich einfach nur total gestresst und müde von der ganzen Sache. Nicht nur wegen Stratovarius sondern auch aufgrund persönlicher Probleme.

MAS:
In den letzten Wochen kursierten einige sehr seltsame Geschichten über Timo Tolkki [Gitarrist und Bandleader bei Stratovarius] - glaubst du, dass sie wahr sind oder verbreitet er sie nur um Aufmerksamkeit zu gewinnen? Wie denkst du über Tolkkis psychischen Zustand?

TK:
Die ganzen Probleme begannen schon vor fünf oder sechs Jahren während der Destiny-Tour. Er betrank sich jeden Abend. Ich glaube, er hatte sich da gerade von seiner Frau, inzwischen Ex-Frau, getrennt. Als wir anschließend wieder zurück in Finnland waren kam er zu mir und sagte "Ich kann dir bei all deinen Problemen helfen - ich sehe jetzt alles so klar" und ich dachte mir nur "Was zum Teufel geht hier vor!?". Aber er beruhigte sich mit der Zeit wieder.
Ich würde ihn niemals als den einzig Schuldigen oder als asshole beschimpfen - aber natürlich hat es mich genervt als er anfing auf seiner Homepage und in Interviews so viel Mist über mich zu verbreiten. Ich glaube, er ist einfach psychisch ein wenig krank - ich hoffe es wird ihm bald besser gehen.

MAS:
Du wirst noch einige Gigs mit Stratovarius spielen, bzw. du musst noch einige Gigs mit Stratovarius spielen...

TK:
Ich muss, ja. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das nach der Sache in Spanien tatsächlich passieren wird. [nach einem Konzert wurde Timo Tolkki in Spanien von einem Fan mit einem Messer attackiert und verletzt, woraufhin er Überlegungen äußerte, die Band aufzulösen. Anm.d.Autors] Natürlich könnte ich einfach zum Arzt gehen und sagen "Ich kann nicht singen, unterschreibe mir ein Attest" - aber andererseits erwarten natürlich die Fans, dass ich dabei bin. Sie wollen die ganze Band sehen.
In manchen Interviews mit Tolkki liest man dann, dass er darüber nachdenkt mit Stratovarius aufzuhören. An manchen Tagen ist bei ihm alles in Ordnung, am nächsten das genaue Gegenteil. Er ist in dieser Hinsicht unberechenbar.

MAS:
Planst du bereits dich in anderen Bands zu engagieren oder wird deine Solo Karriere dein einziges Projekt bleiben?

TK:
Ich habe bereits einige Angebote bekommen - nicht alle sind großartig, aber ein oder zwei interessante sind schon dabei. Die Namen kann ich nicht nennen, aber es sind ein paar, vor allem hier in Deutschland, sehr bekannte Musiker dabei. Aber erstmal möchte ich so viele Konzerte wie möglich mit meiner eigenen Band spielen. Morgen werde ich mit einem Veranstalter sprechen und hoffentlich eine kleine Europatour, vielleicht eine Südamerika- oder Südasientour machen.
Später, gegen Ende des Jahres, werde ich mir wahrscheinlich einige der Angebote genauer anschauen. Es sollte schon etwas sein, woran ich wirklich interessiert bin. Einige Plattenfirmen haben mir auch angeboten auf dem Album der Band X zu spielen und dafür die Geldsumme Y zu bekommen. Aber es hat nichts mit Geld zu tun, ich habe nie angefangen zu singen oder Schlagzeug zu spielen wegen des Geldes. Natürlich muss ich auch meinen Lebensunterhalt finanzieren, aber ich will in der Lage sein Einhundert Prozent für die Band und jeden Song zu geben. Ich kann nicht einfach in ein Studio gehen und sagen "Alles klar, sagt mir den Akkord und es kann losgehen!".

MAS:
Wirst du auf deinen zukünftigen Solotourneen auch ein paar Stratovarius Hits zum besten geben?

TK:
Während der letzten Tour vor zwei Jahren haben wir in Finnland "Eternity" gespielt und grundsätzlich denke ich auch, dass ich durchaus das Recht habe die Songs zu singen, zu denen ich die Texte geschrieben habe. Andererseits - wenn du mich jetzt fragst muss ich sagen, dass ich nicht wirklich daran interessiert bin. In fünf Monaten könnte das wieder anders aussehen.
Ich möchte nicht, dass jemand nur deshalb zu meinen Gigs kommt, weil ich Stratovarius Songs spiele. Natürlich wäre es für die Fans und für mich schöner, wenn die Leute kommen um meine eigenen Songs zu hören.

MAS:
Das hast angekündigt, dass dein neues Album Coldness eher nach traditionellem Heavy Metal klingen wird als nach dem melodischen Power Metal, den wir von Stratovarius kennen. Liegen deine musikalischen Wurzeln eher in der Maiden/Priest Region?

TK:
Als ich jung war und anfing Schlagzeug zu spielen habe ich Bands wie Iron Maiden, Black Sabbath, Deep Purple und Whitesnake gehört. Ich glaube, dass meine eigene Musik sehr stark auf den Achtzigern basiert. Aber ich war zehn Jahre lang bei Stratovarius - da kann ich nicht so tun, als ob aus der ganzen Zeit nichts bei mir hängengeblieben ist. Wenn du zehn Jahre irgend etwas tust, ganz egal was, dann beeinflusst es dich natürlich auf eine positive oder negative Weise.
Einige Journalisten haben mich gefragt, ob ich Coldness als Power Metal Album bezeichnen würde. Ich weiß nicht so genau, was Power Metal sein soll - ich dachte immer, Power Metal zeichne sich durch Geschwindigkeit und hohen Gesang aus. Auf meinem Album sind aber nur zwei Songs, die schnell und hoch gesungen sind. Die meisten sind eher im Midtempo Bereich und sehr heavy.
Aber ich höre nicht sonderlich viel Musik, vielleicht kennen sich andere da besser aus - keine Ahnung.

MAS:
Wie komponierst du deine Songs? Welche Instrumente spielst du und was inspiriert dich beim Songwriting?

TK:
Das ist ganz unterschiedlich - es kann passieren, dass ich über eine Straße gehe und mir innerhalb von ein-zwei Minuten eine bestimmte Melodie einfällt, auf der ich dann aufbaue. Manchmal jamme ich auch mit meiner Gitarre oder einem Keyboard, oder ich habe einen bestimmten Schlagzeugrhythmus im Kopf. Mal basiert ein Song auf den instrumentalen Parts, mal auf den Gesangsmelodien. Nur weil ich ein Sänger bin ist es nicht so, dass neue Ideen immer vom Gesang ausgehen. Die Texte kommen immer erst sehr spät - manchmal auch erst bei den Aufnahmen.

MAS:
Sind die Coldness-Texte eher biographischer Natur oder handeln sie wieder von geschichtlichen und Fantasy-Themen?

TK:
Wenn ich Coldness und mein erstes Solo Album vergleiche... Waiting for the Dawn basierte auf Fantasy Texten, die zu einem Konzept versponnen waren. Coldness ist komplett anders, es hat keine Fantasy Texte. Es geht darin eher um mein Leben und darum, wie ich mich letzten Herbst gefühlt habe. Einige der Songs habe ich schon im August geschrieben, andere erst Ende Dezember.

MAS:
Und welches ist dein Lieblingssong?

TK:
Schwer zu sagen. "Reasons" ist sehr gut. Wir haben den Song letzte Woche in Finnland auf einer Charity Show zum ersten Mal live gespielt. "Seeds of Sorrow" gefällt mir ebenfalls und "Here we are" ist ein... ein guter Black Sabbath Song (lacht).

MAS:
Meine Promo Kopie hat leider keine Textbeilage - kannst du mir erklären, worum es in "Reasons" geht?

TK:
Es geht darin um die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht mehr so läuft wie früher. Er versucht die Gründe dafür herauszufinden.
Ein paar Leute glauben, dass der Song von den Gründen für den Ausstieg bei Stratovarius handelt. Das stimmt aber nicht.

MAS:
Ich mag übrigens "Journey Back" - wovon handelt der Song?

TK:
Er handelt von dem Gefühl nach Hause zu kommen. Ich wohne in Helsinki, etwa 400 km von meinem Geburtsort entfernt, in dem meine Eltern auch heute noch leben. Es geht einfach um dieses Gefühl, wenn ich meinen Wagen anschmeiße und 400 km in dieselbe Richtung fahre während die Sonne untergeht und es immer dunkler wird. Man sieht die Familie, man sieht die ganzen Orte, die man aus der Kindheit kennt... das ist für mich jedes Mal etwas Besonderes, da ich nicht genug Zeit habe um so oft dorthin zu fahren wie ich gerne würde. Nur etwa viermal im Jahr.

MAS:
Auf Coldness sind einige sehr bekannte Musiker zu hören - zum Beispiel Janne Wirman von Children of Bodom und Mike Romeo von Symphony X. Wer wird die Live Gigs bestreiten? Ist Kotipelto eine feste Band?

TK:
Ich würde schon gerne mit den Leuten live spielen, die auch auf dem Album mitgewirkt haben. Aber insbesondere Janne tourt sehr viel... ich habe schon so oft mit ihm geredet und er sagte auch, dass er bei unseren Gigs gerne mitspielen würde. An erster Stelle steht bei ihm aber natürlich CoB und nur wenn er dort gerade keine Tour hat und es kräftemäßig schafft kann er mit mir touren. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mich bei ihm melde sobald ich ein Tourprogramm habe und nach einem anderen Keyboarder suche falls er keine Zeit hat. Aber er ist ein guter Freund für mich - so wie die anderen auch - wir gehen oft mal etwas trinken und ein hervorragender Musiker ist er auch. Ich würde ihn wirklich sehr gerne dabei haben, aber er wird verstehen, dass ich nicht warten kann bis er frei ist, falls ich ein gutes Angebot bekomme. Zumindest werden wir zusammen in Wacken und auf einem Festival in Finnland spielen.

Diskografie (Alben, Auszug)
2004: "Coldness"

2003: Stratovarius - "Elements Part Two"

2003: Stratovarius - "Elements Part One"

2002: "Waiting for the Dawn"

2001: Stratovarius - "Intermission"

2000: Stratovarius - "Infinite"

1998: Stratovarius - "Destiny"

1997: Stratovarius - "Visions"

1996: Stratovarius - "Episode"

1995: Stratovarius - "Fourth Dimension"

1994: Stratovarius - "Dreamspace"
MAS:
Normalerweise spielt Janne Wirman in einer Black Metal Band - fiel es ihm nicht schwer sich an diesen komplett anderen Stil zu gewöhnen?

TK:
Vielleicht am Anfang. Er wusste erst nicht so richtig, was er zu welchem Song spielen sollte. Aber inzwischen mag er meine Songs weil sie für ihn so einfach sind - und er kann dabei trinken (lacht). Bei CoB muss er ja die ganze Zeit spielen. Ich mag Children of Bodom, sie spielen einerseits zwar sehr schnellen Black Metal, aber es ist trotzdem noch melodisch. Und live sind sie hervorragend.

MAS:
Ein Bekannter bat mich mal nachzufragen, was von finnischem Bier zu halten ist - es soll nicht besonders gut schmecken..?

TK:
Deutsches Bier ist gut, wenn auch nicht das beste der Welt. Ich mag Warsteiner. Finnisches Bier ist immerhin deutlich besser als schwedisches - ich bevorzuge ein Bier namens "karhu", was im Englischen "bear" bedeutet. [deutsch: Bär]

MAS:
Alles klar, letzte Frage: Wird Kimi Räikkönen die Formel 1 Weltmeisterschaft 2004 gewinnen? [Anmerkung: Das Interview fand einen Tag nach Räikkönens Motorschaden statt, Sieger wurde natürlich Schumacher - daher diese Frage erst zum Schluss]

TK:
Sicherlich nicht - wegen des MOTORS! Ich halte ihn für einen sehr guten Fahrer - Schumacher ist zwar immer noch der beste Fahrer, aber er hat auch das beste Auto. Wenn Kimi einen Ferrari fahren würde, würde zumindest Barichello weit hinter ihm liegen. Es ist im Moment so langweilig immer nur Schumacher und den ganzen Ferrari-Kram zu sehen...

Hendrik Stahl