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Musik an sich
 
Olivier Messiaen (1908-1992): La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus Christ
(Hänssler Classic)
20. Jahrhundert / Oratorium
 

Europa Chor Akademie - SWR Sinfonieorchester - Sylvian Cambreling / Réveil des Oiseaux (Historische Aufnahme vor der Welturaufführung 1953) SWR-Sinfonieorchester - Yvonne Loriod, Klavier - Hans Rosbaud

Eine Nachlese zum Messiaen-Jahr 2002: Der Todestag dieses gleichermaßen faszinierenden wie zu Kontroversen reizenden Komponisten hat sich gerade zum zehnten Mal gejährt, da bringt Hänssler Classic eine weitere Einspielung seines monumentalen Oratoriums über die Verklärung Jesu Christi heraus (komponiert 1965-1969). Im vergangenen Jahr ist bei der Deutschen Grammophon bereits eine Aufnahme erschienen, die meine hohen Erwartungen allerdings nicht erfüllt hat (MAS Klassik-Rezensionen August 2002).
Während die DG-Produktion vor allem wegen ihres zu diffusen Klangbildes nicht befriedigte, erreicht Sylvian Cambreling mit dem SWR Orchester und der Europa Chor Akademie dank schärferer Fokussierung die notwendige Klarheit, um Messiaens ‚theologischen Regenbogen' zum Leuchten zu bringen. Bis zur monumentalen Franzsikus-Oper (UA 1983) repräsentierte das Werk so etwas wie ein Opus Summum von Messiaens Schaffen. Das reiche Vokabular seiner musikalischen Sprache, angefangen von den instrumentalen Vogelstimmen über die Gregorianik sowie eine schier unerschöpfliche Palette von Rhythmen und harmonischer Klangfarben, wurde hier in den Dienst einer quasi-liturgischen Meditation über das Mysterium der Verklärung Christi (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 17) gestellt. Die Wahl des Themas ist typisch für den Komponisten, der sich selbst "einen Mann der Freude" nannte: Nicht die Passion Christi, sondern seine vorweggenommene Verherrlichung als Sohn Gottes ist der biblische Angelpunkt für die Komposition.

Das Libretto kombiniert biblische Texte mit liturgischen Gebeten und Auszügen aus der ‚Summa Theologica' des Thomas von Aquin aus dem 12. Jahrhundert. Zum sehr groß besetzten Chor und Orchester treten sieben Instrumentalsolisten (Klavier, Flöte, Klarinette, Cello, Marimba, Xylorimba und Vibraphon), die einzeln oder im Ensemble erklingen. Religiöse Empahse und strukturelle Durchdringung gilt es in bei der Interpretation Deckung zu bringen. Die Tonregie steht vor der Aufgabe, die die schiere Klanggewalt in den Tutti-Blöcken ebenso einzufangen wie die zahlreichen kammermusikalisch-entrückten Momente. Denn trotz der Besetzungsstärke ist das Werk keine maßlose Häufung von fff-Stellen; wie auch sonst in seiner Musik ging es Messiaen auch hier vor allem um Klang-Qualität, d. h. die Vielfalt der musikalischen Mittel, mit der er der theologischen Größe seines Gegenstandes gerecht werden wollte.

Cambreling wählt gemessene Tempi und läßt sehr konzentriert, im Bewußtsein um jeden einzelnen Ton(komplex), musizieren: Das unterstreicht zum einen den rituellen Charakter der Musik, zum anderen erscheinen die Vogelgesänge und Klangfarben ein wenig wie ‚ausgestellt', vergleichbar jenen Miniaturen, die den Text einer mittelalterlichen Handschrift illuminieren. Gegenüber der älteren Decca-Aufnahme von Antal Dorati Anfang der 70er Jahre (für mich auch klangtechnisch nach wie vor die Referenz) nimmt sich die Musik dadurch strenger, hieratischer, aber auch weniger geschmeidig aus. Manche der majestätischen Steigerungen in der Partitur bekommen dadurch ein zusätzliches Gewicht (CD 1, Track 4). Anderes, wie z. B. die gewaltigen Pedal-Töne der Posaunen mit dem abgrundtiefen ‚Ah' der Chor-Bässe (CD 2, Track 3) wirken dagegen etwas zu blaß, wie hier überhaupt der Chor eher erschöpft als freudig-erregt klingt - dies wohl auch als Tribut an die gedehnten Tempi. In dieser Hinsicht wirkte auch bei Myung-Whun Chung der Chor alles andere als eindrücklich. Messiaens Musik fordert aber von den Interpreten Mut zu einer, um es mit Hölderlin zu sagen, "heilig nüchternen" Verzückung. Die gegenüber Chungs ‚Sinnlichkeit' größere Kontrurenschärfe von Cambrelings Ansatz kommt vor allem den Ensembles der Instrumentalsolisten zugute, die in der DG-Aufnahme doch einen sehr verwaschenen Eindruck hinterließen.

Als Zugabe gibt es den Mitschnitt einer privaten Erstaufführung von Messiaens ‚Réveil des Oiseaux', dem ‚Erwachen der Vögel' von 1953; dies ist das erste Werk des Komponisten gewesen, dessen Material er vollständig aus den notierten Gesängen und Rufen von Vögeln gewonnen hatte. Die Aufnahme unter Hans Rosbaud und mit Yvonne Loriod, der Frau Messians, am Klavier, besitzt vor allem dokumentarischen Wert.

Insgesamt: Kein wirklicher Ersatz für die aus dem Katalog gestrichene Dorati-Aufnahme, aber überzeugender als die DG-Produktion vom vergangenen Jahr.

15 von 20 Punkte

Georg Henkel

 

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