Musik an sich


Artikel
Amplifier: In den Tentakeln des Oktopusses



Info
Gesprächspartner: Amplifier (Neil Mahony)

Zeit: Februar 2011

Stil: Alternative/Prog Rock

Internet:
http://www.theoctopus.info
http://www.amplifiertheband.com
http://www.myspace.com/amplifiertheband

2004 starteten AMPLIFIER aus Manchester mir ihrem selbst betitelten Debüt kräftig durch. Zumindest in Kritikerkreisen stand man mit seiner Mischung aus kräftig zupackenden und breitwandigen Alternative Rock á la Soundgarden, klassischen Tugenden der Marke Led Zeppelin und einem Hauch Sphärenrock im Pink Floyd-Format, sowie ein wenig Tool-mäßiger Verdrehtheit hoch im Kurs. Doch bereits zwei Jahre später kam das Raumschiff leicht ins Schlingern. Angefeuert durch ihr Label stellte man den Nachfolger Insider etwas überhastet fertig und wurde auch sonst von einigen Zwängen konfrontiert. Irgendwann wurde der Druck für Sel Balamir (Gesang, Gitarre), Neil Mahony (Bass) und Matt Brobin (Schlagzeug) zu groß und man zog sich länger frustriert zurück. Doch 2011 ist der Zeitpunkt für die große Rückkehr gekommen! The Octopus nennt sich der neueste AMPLIFIER-Streich, der am Ende des Jahres zu den Referenzwerken in diesem Sekter gehören dürfte und den man nun komplett frei und selbst veröffentlicht - mittlerweile nicht nur über den eigenen Webshop, sondern auch im klassischen Handel. Da man mit der neu gewonnen Freiheit im Kopf genug Ideen sammelte, ist es sogar ein Doppelalbum geworden, welches alle Fassetten des Bandsounds bündelt und dann wieder durch ein Kaleidoskop schickt und in andere Höhen erhebt. Dabei werden sich die Fans nicht nur die Zähne an der Musik, sondern auch dem umhüllenden Konzept ausbeißen, welches uns Neil Mahony im folgenden Interview etwas näher bringt.



Amplifier standen laut eigenen Angaben vor ein paar Jahren aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der Industrie und ähnlichen Dingen fast vor der Auflösung. Wie habt ihr den Spaß an der Musik wieder zurückbekommen?

Ganz einfach: Wir haben angefangen wieder zu jammen - ohne Druck und ohne den Drang etwas beweisen zu müssen. Niemand von uns wollte je aufgeben. Wir waren nur allgemein ziemlich durch das Business desillusioniert und wir haben gemerkt, dass es aufhörte Spaß zu machen. Sobald wir wieder in einem Raum zusammen kamen, ein bisschen rauchten und die Verstärker aufdrehten, war die Magie immer noch da und wir fühlten uns wieder wie Kinder. Der Schwung kam zurück und wir gaben uns dem hin. Es drehte sich wieder nur um uns, sonst nichts.

Bereut ihr generell irgendwelche Entscheidungen in der Vergangenheit?

Es passierten ein paar ziemlich unglückliche Dinge. Aber es gab nichts das wir dagegen hätten tun können. Also kein Grund zu jammern. Wir haben zahlreiche großartige Shows gespielt und sind europaweit getourt, wozu wir ohne eine Plattenfirma, die für all das zahlt, nicht in der Lage gewesen wären. Keine Reue!

Eure Musik komplett selbst zu verkaufen ist interessant. Man hat nicht nur die volle Kontrolle über alles, sondern verdient auch mehr an jeder verkaufen CD. Ist das etwas, das ihr auch anderen Bands empfehlen könnt - speziell Newcomern?

Du hast mit beiden Dingen recht: Wir haben die volle Kontrolle und wir verdienen auch mehr am Verkauf. Aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Es gibt soooo viel mehr Arbeit zu erledigen. Eine unglaubliche Menge. Ich würde schon empfehlen alles selbst zu machen. Aber nur wenn man bereit ist, buchstäblich 24 Stunden am Tag zu arbeiten. Es kann nicht funktionieren, bis du bereit bist deine komplette Zeit zu investieren. Ich weiß, man hat das wohl auch schon von anderen Bands gehört. Aber hier stimmt es tatsächlich, zu 100 %. Es ist der einzige Weg - und er ist schwer.

Bist Du zufrieden mit dem Vorverkauf von The Octopus und den ersten Reaktionen Eurer Fans?

Ja, sogar sehr! Die Reaktionen sind fantastisch. Aber um ehrlich zu sein - und bekomme das nicht in den falschen Hals-, wir haben nichts anderes erwartet. Wir machen das bereits lange genug um zu wissen, wenn etwas gut ist. Und wenn es trotzdem nicht angenommen wird? Nun, das ist dann auch OK. Auch wenn wir unsere Fans wirklich lieben und dafür schätzen, dass sie so lange an Bord geblieben sind, machen wir es in erster Linie für uns selbst. Falls nicht, würden wir verrückt werden! Andererseits fühlt es sich auch großartig an, auf unser Messageboard zu gehen und mit herzlichen Komplimenten bombardiert zu werden!

The Octopus ist ein ziemlicher Brocken mit zwei Stunden nicht gerade leichter Musik. Fürchtet ihr nicht, die Leute in unserer schnelllebigen Zeit damit zu überfordern?

Nun, du musst dir ja nicht alles am Stück anhören! Natürlich wird der erste Eindruck die Leute ziemlich erschlagen. Aber ich bin sicher, dass sie schon wissen, was sie erwartet. Es heißt ja nicht nur immer „Go!“, wie bei vielen anderen Alben. Nein, ich denke nicht, dass es zu viel ist. Wir nehmen uns doch immer Zeit für die Dinge die wir lieben, oder nicht?

Hast Du eine bestimmte Vorstellung vom typischen Amplifier-Fan? Oder möchtet ihr eine bestimmte Art von Leuten ansprechen?

Darauf kann ich nicht wirklich eine Antwort geben. Ich habe keine Ahnung was ein typischer Fan von irgendwas ist! Unsere Musik ist für jeden verfügbar und kann egal welcher Herkunft geschätzt werden.

Was steckt hinter dem Oktopus, ist es eine Philosophie, ein Synonym für die schlechten Einflüsse unserer Zeit, eine Art Stamm?

Wir alle stecken hinter dem Oktopus. Frühere Generationen verschuldeten seine Geburt und wir alle haben dafür gesorgt, dass er seine Tentakel ausbreitet. Wir müssen uns allen die Schuld geben und infolgedessen werden wir alle daran leiden. Es gibt kein zurück, solange wir nicht ins Weltall entkommen können, um einen besseren Platz zu finden.

Die Special Edition der CD kommt mit einem 70-seitigen Buch. Kannst Du bitte das Konzept des Albums und des Buchs in ein paar Worten zusammenfassen?

The Octopus ist ein System die Existenz zu verstehen. Es erklärt alles, aber es bedeutet absolut nichts. Es wird nicht auf direktem Weg erklärt, sondern vielmehr anhand einer Serie von Beobachtungen. All diese Beobachtungen ergeben letztlich das Konzept von The Octopus. Es hat etwas von einem Hirnfick. Du brauchst Zeit es zu verstehen.

Die Herangehensweise an das Album als Ganzes und sein grundlegendes Konzept wirkt ziemlich künstlerisch. Siehst Du Eure Musik als Kunst? Wo ist der Punkt, an dem aus einfachem Rock’n’Roll Kunst wird?

Kunst wird nicht einfach gemacht - Kunst liegt an der Wertschätzung. Sollte ein Hörer, Betrachter oder Leser entscheiden, dass etwas Kunst ist: gut, dann ist es Kunst. Es liegt nicht an uns das zu sagen. Wir haben viel Zeit rein gesteckt, damit das ganze Paket „richtig“ wird, und dass alles zusammenpasst. So wie es ein Verleger mit einem Buch macht. Das war uns sehr wichtig.

Diskografie
Amplifier (2004)
The astronaut dismantles HAL (EP, 2005)
Insider (2006)
Eternity (Raritäten-EP, 2009)
The Octopus (2011)
Kommen wir zur Musik zurück: Was war zuerst, die Texte oder die Musik?

Wir beginnen einfach zu jammen. Endlos! Wir haben ein Karussell an Riffs, das sich beständig dreht und wir versuchen dann verschiedene Dinge zusammen zu mixen, um zu sehen was funktioniert. Wir nehmen alles auf und Sel wendet viel Zeit auf, um die guten Ideen auszufiltern und sie dann in Songs zu verwandeln. Anschließend spielen wir die frischgebackenen Versionen und Riffs und Grooves erscheinen und prägen sich ein. Einige werden zu Songs, andere nicht. Im Anfangsstadium präsentieren sich Sel manchmal Texte und die Stücke nehmen eine Form an. Dann noch mal spielen, mehr filtern, bis ein Lied komplett ist. Es passiert zwar nicht immer so, aber das ist der typische Weg.

Die Songs wurden in einem alten viktorianischen Mühlengebäude aufgenommen. Hat Euch diese alte Architektur ein wenig beeinflusst?

Vielleicht haben die tausende überarbeiteten und unterbezahlten Manchester Mühlenarbeiter ihre Seelen durch uns gelenkt und wir erzählen ihre Geschichte? Aber vielleicht auch nicht. (lacht)

Ich las den interessanten „über uns“-Text auf der Amplifier-Webseite. Ich stimme Euch zu, wenn ihr behauptet, dass sich die Welt zu sehr auf Geld und Profit fixiert, und dass die meisten Dinge mehr und mehr gesichts- und bedeutungslos werden. Ganz so, als wären wir nur noch Geldroboter, die nur zum Konsum für das da sind, was die Industrie einem vorsetzt. Wollt ihr die Leute mit Eurem neuen Album dahin gehend positiv beeinflussen?

Ich denke wir erzählen niemanden etwas, was er nicht eh schon weiß. Wir haben es alle so werden lassen, wie es nun ist: Entweder durch direkten Beitrag, wenn du ein Banker, ein Diktator oder eine TV-Führungskraft bist, oder indirekt, indem du sie einfach damit durchkommen lässt. Einige von uns verweigern sich ein Teil davon zu sein. Aber letztlich haben wir nur zwei Auswahlmöglichkeiten: Kapitulation oder Revolution!

Denkst Du Musiker und Autoren haben eine Art sozialer Verantwortung zu zeigen was falsch in der Welt läuft?

Ich denke es ist nun mal Fakt, egal ob das gut ist oder schlecht, dass die einzigen Meinungen von Menschen an die man sich erinnert diejenigen sind, die aufgezeichnet werden. Es mag früher eine Verantwortung gegeben haben, dass es ehrlich ist was du sagst, damit künftige Generationen dies beherzigen können. Aber ich glaube nicht, dass das für heute gilt. Es gibt zu viele Idioten mit Computern und viel zu viele Idioten sind bereit ihrem Geklopfe Aufmerksamkeit zu schenken.

Zum Ende noch etwas ganz Profanes: Habt ihr Pläne Eure Album in naher Zukunft auf dem Kontinent mit ein paar Konzerten zu bewerben?

Ja, die Pläne dafür werden ausgearbeitet, während wir hier sprechen. Wir sind schon ziemlich aufgeregt deswegen! Aber genaue Daten kann ich noch keine geben.

Dann wären wir am Ende, Neil. Ich danke Dir für dieses Interview. Die letzten Worte gehören wie üblich Dir.

Tu was. Irgendetwas. Nur einfach nichts zu tun wäre eine Verschwendung!





Mario Karl



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