Musik an sich


Reviews
Cesti, A. (Ipata)

Le disgrazie d’Amore. Komisch-moralische Oper in 3 Akten


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 20.01.2010

(Hyperion / Codaex 2 CD / DDD / 2008 / Best. Nr. CDA67771/2)

Gesamtspielzeit: 153:32



FLOTT

Nachdem die Opern Claudio Monteverdis inzwischen selbst auf diversen städtischen Bühnen Fuß gefasst haben und auch die Werke seines Schülers Francesco Cavalli ein immer größeres Publikum anziehen, wird es höchste Zeit, Antonio Cesti (1623-1669) entsprechende Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Denn der beherrschte sein Metier mindestens ebenso gut, was der unermüdliche René Jacobs schon mehrfach auf - inzwischen vergriffenen - CDs bzw. durch diverse Aufführungen demonstriert hat. Und wie bei Cavalli trifft auch bei Cestis Opern der Genre-Mix beim modernen Publikum einen Nerv.

Unbekümmert wurde von den barocken Librettisten aus mythischen Versatzstücken ein deftiger, ironisch-satirischen Eintopf aufgekocht. Tragisches, Komisches, Amouröses und (Pseudo)Heroisches vermischt sich zwanglos, ganz wie im richtigen Leben. Das Happy End war zwar verpflichtend, vorher durfte aber gerne die eine oder andere Gottheit vom Sockel geholt und in die Niederungen alltäglichster Leidenschaften und Geschäfte verwickelt werden. So auch in der späten Cesti-Oper Le disgrazie d’Amore (1667), wo der kindliche Liebesgott Amor nach den Ehestreitigkeiten zwischen seiner Mutter Venus und Zweitehemann Vulkan erst fortgejagt wird und hernach in allerlei Bedrängnisse gerät. An seiner Erzeugerin rächt sich der kleine Bengel übrigens durch die öffentliche Zurschaustellung des göttlichen Kosmetikkoffers und seiner hochtoxischen Inhalte. Auch Göttinnen müssen leiden, um ihre Schönheit zu bewahren. Dabei ist Vulkan doch ein eher schwieliger Typ, der die Wohnung ständig unter Rauch und Dampf setzt und wenig Sinn für Ästhetik hat. Unterstützt wird er beim Einheizen von seinen zyklopischen Kumpeln, die freilich lieber saufen und zocken, wenn der Chef sich auf die Suche nach seinem verstoßenen Ziehsohn macht (auf Drängen der besorgten Gattin).
Dies mag als Einstieg in die turbulente Geschichte genügen, die von Cesti sehr pointiert in Musik gesetzt wurde.
Selbige ist, trotzt der schmalen „Orchesterbegleitung“ durch gelegentliche Streicherritornelle und ein (allerdings sehr üppiges) Continuo, sehr vielgestaltig und passt sich der Textvorlage Francesco Sbarras an wie eine klingende Haut. Allerdings darf man nicht wie bei G. F. Händel große Auftrittsarien erwarten. Arien gibt es zwar auch, dazu Duette und sogar größere Ensembles. Sie sind aber nur den besonderen emotionalen Höhepunkten vorbehalten und meist recht kurz.

Der Opernstil zur Zeit Cestis kommt noch sehr stark vom Rezitativ her, wenngleich dieses ungleich flexibler und reicher ist als zu Händels Zeiten. Die Grenzen zwischen Arie, Arioso und sprechendem rezitativischen Gesang sind fließend und Cesti beherrscht die Verbindung der Mittel zur plastischen Figurenzeichnung und Ausdruckssteigerung meisterhaft. Auf gewisse Weise ist das viel bühnenwirksamere, da in sich aktionsgeladenere Musik als bei Händel.
Freilich kommt sie darum erst auf der Bühne ganz zu sich. Ohne Zuhilfenahme des extra beiliegenden (und leider nur englisch-italienischen Librettos) und gehöriger szenischer Fantasie ist’s nur der halbe Spaß. Also: Cestis Oper schreit nach einer Inszenierung und Präsentation auf DVD!
Dass es unter diesen eingeschränkten medialen Bedingungen trotzdem eine runde Sache wird, dafür sorgen unter der Direktion von Carlo Ipata das mit Verve aufspielende Ensemble Auser Musici und dreizehn barockerfahrene Solisten, die das komödiantische Potential der Musik für zweieinhalb Stunden zum Leben erwecken. Der flotte, charaktervoll zugespitzte Parlando-Ton treibt die bunte Story bis zum pflichtschuldig moralisierenden (aber darum wohl kaum dauerhaften) glücklichen Ende voran. Heute kann man dabei wie weiland der Wiener Hof seinen Spaß haben.



Georg Henkel



Besetzung

Maria Grazia Schiavo: Venus
Furio Zanasi: Vulkan
Paolo Lopez: Amor
Carlos Natale: Betrug
Gabriella Martellacci: Schmeichelei
Martin Oro: Gier
Elena Cecchi Fedi: Amicizia
u.a.

Auser Musici

Carlo Ipata: Leitung



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