Musik an sich


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Stockhausen, K. (Stockhausen)

Freude (Klang 2. Stunde)


Info
Musikrichtung: Neue Kammermusik

VÖ: 01.01.2008

Stockhausen Verlag / Stockhausen Verlag / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. CD 84 (Freude)

Gesamtspielzeit: 42:00



UNGEBROCHEN SCHÖPFERISCH II

In schlichten Worten informiert Karlheinz Stockhausen auf seiner Homepage darüber, dass er die Arbeit an seinem monumentalen Opern-Zyklus LICHT am 31. 12. 2002 abgeschlossen habe. Nachdem der Komponist sich über 25 Jahre praktisch ausschließlich seinem musiktheatralischen Gesamtkunstwerk über die sieben Wochentage gewidmet hatte, wäre gewiss niemand über eine großzügig bemessene Auszeit erstaunt gewesen.
Doch der damals 74jährige arbeitete bis zu einem überraschenden Tod im Dezember 2007 unermüdlich an neuen Projekten, 16 Stunden täglich am Schreibtisch waren für ihn ganz normal. Nach den 7 Wochentagen sollte immerhin zunächst eine entsprechende Anzahl von Stücken zu den 24 Stunden des Tages, danach zu den 1440 Minuten eines Tages und schließlich den Sekunden (immerhin 86400!) folgen.

Wer Stockhausen und seine kompromisslose schöpferische Hingabe kannte, wusste, dass diese Ankündigungen tatsächlich ernst gemeint waren. Ebenso wenig wie er je an der Vollendung seines LICHT-Zyklus gezweifelt zu haben schien, fochten ihn offenbar kreative, körperliche oder technische Bedenken bezüglich der Realisierbarkeit der neuen Kompositionen an.
Nach der Monumentalität der sieben Opern zeichnen sich die unter dem Titel KLANG – Die 24 Stunden des Tages begonnenen Werke durch konzentrierte, oft kammermusikalische Besetzungen aus. Nicht der große finale Knall, sondern Sublimierung und Vergeistigung der Musik waren Stockhausens Ideal. Geblieben ist freilich der Anspruch, Neues zu komponieren, ungehörte Klangwelten zu erschließen und technische Herausforderungen zu meistern.
Bis zur 21. Stunde war der neue Zyklus gediehen, als Stockhausen starb. Einundzwanzig Stücke. Das sind drei mal sieben Kompositionen – für einen esoterisch umfassend gebildeten Künstler wie Stockhausen hätte die dreimalige Bestätigung der Vollkommenheit gewiss ihre eigene Logik der Vollendung gehabt.

Beim Stockhausen Verlag, bei dem seit 1991 nach und nach sämtliche Werke – das Verzeichnis nennt 362 einzeln aufführbare Werke – auf CD erscheinen, sind inzwischen auch die ersten Stunden von KLANG erhältlich.
Die immer wieder verblüffende musikalische Bandbreite des späten Stockhausen kann man exemplarisch anhand zweier Kompositionen erkunden, der 2. Stunde mit dem Titel Freude, eine Komposition für zwei Harfen und singende Spielerinnen, sowie der 13. Stunde, eine achtkanalige elektronische Komposition, die den Titel Cosmic Pulses trägt.

Die Konzeption von Freude scheint zunächst alle Befürchtungen, es handele sich um ein geschmäcklerisches Alterswerk, zu bestätigen: Eine mit Kitsch-Konventionen behaftete Besetzung, dazu die entsprechende Inszenierung: die Harfenistinnen sollen engelhaft in weiße Kleider gewandet einander gegenüber sitzen und nicht nur spielen, sondern auch singen.
Doch solch eigenwilligen Kreationen sind nicht erst seit den 70er Jahren Stockhausens Markenzeichen. Sein LICHT-Zyklus lebt von seltsamsten szenischen Erfindungen, so dass das deutsche Feuilleton mitunter kaum noch Worte fand, wenn es darum ging, die Auftritte von geilen Heinzelmännchen (MONTAG aus LICHT), astralen Superhelden (DONNERSTAG aus LICHT) oder des Luzikamels (MITTWOCH aus LICHT) zu verreißen. Sein rituelles „kosmisches Puppentheater“ (O-Ton Stockhausen), dessen MITTWOCH und SONNTAG noch einer szenischen Gesamtaufführung harren, ist für viele eingefleischte Avantgardisten nach wie vor ein peinlicher Verrat an den einstigen Idealen, ein egomaner, „privatrelgiöser“(?) Mumpitz. Damit scheint die Sache erledigt.
Offenes, ideologiefreies Hören vorausgesetzt, zeigt sich Stockhausen jedoch jenseits stilistischer Festlegungen und Dogmen auch im Alter ungebrochen kreativ und neugierig. Und in Wahrheit ist er vielleicht eben nur wieder einen Schritt weiter als seine Kollegen. In England z. B., das viel weniger als Deutschland im musikästhetischen Lagerdenken befangen ist, hat man kaum Probleme, Stockhausen als exzentrisches Unikum irgendwo zwischen Avantgarde und Pop zu verorten. Gleich mehrere große Werkzyklen gingen dort im vergangenen Jahr, pünktlich zum 80. Geburtstag Stockhausens, über die Konzertpodien.

FILIGRANER JUBILUS

Freude ist von schlichter Schönheit, ohne abgenutzte Formeln zu bemühen, und die Musik bleibt stets fasslich, ohne vorhersehbar zu sein. Als Auftragswerk für ArtAche, eine Institution des Mailänder Domes, wurde es zu Pfingsten 2006 ebendort uraufgeführt. Stockhausen „sah und hörte innerlich“ ein Stück für zwei Harfen und wählte für den gesungenen Part den Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“. Die beiden Harfen wurden kompositorisch zu einem chromatischen Super-Instrument verbunden. Durch die sehr differenzierte Spielweisen („zupfen, pflücken, streichen, schlagen, zwicken, reiben, streifen, stoßen, klopfen, jubilieren“) streift die Besetzung alle klanglichen Beschränkungen ab.
Überbordend ist die Klangphantasie, ohne dass die Instrumente ihre himmlisch konnotierte Klang-Aura dadurch verlören. Alles klingt stimmig, ob die Spielerinnen nun wuchtige Akkorde hervorbringen, weit ausschwingende Arpeggios oder ein zartes Zwitschern und Wispern erklingen lassen.
Als Vokal-Alchimist alter Schule fasst Stockhausen den Text des Hymnus‘ als Klangmaterial auf. Doch auch hier wirkt keine vokale Transformation gezwungen oder gar dekonstruierend. Stockhausens Glaube ist echt.
Man vernimmt einen ungebremsten Spieltrieb, eine Lust am Erkunden und Verbinden auch abgelegener Klang-Welten. Die Freude, die den Komponisten nach eigenem Bekunden während der Arbeit an dem Stück erfüllte, ist hörbar in den filigranen und gedämpften wie auch in den rauschhaften und ekstatischen Momenten des Stücks.
Zusammen mit der vorzüglichen Klangregie Stockhausens hat vor allem die händische und vokale Virtuosität seiner beiden Interpretinnen, Marianne Smit und Esther Kooi, dafür gesorgt, dass das Werk den Katalog des Stockhausen-Verlages um ein weiteres originelles Einzelstück bereichert. Und so ganz nebenbei ist hier auch ein wirklich gelungenes Beispiel für eine neue Kirchen-Musik herausgekommen.

Die Aufnahme ist exklusiv gegen Vorkasse (Bar, Scheck oder Überweisung) für € 25.- beim stockhausen-verlag@stockhausen.org erhältlich. Die Versanddauer beträgt ca. zwei Wochen. Ein komplettes Werkverzeichnis, der CD-Katalog und alle weiteren Infos zur Bestellung finden sich auf der genannten Homepage des Komponisten.



Georg Henkel



Trackliste
Freude 42:00
Besetzung

Freude:
Marianne Smit & Esther Kooi: Harfen und Stimmen
Klangregie: Karlheinz Stockhausen


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