Musik an sich


Reviews
Kagel, M. (Kagel)

Duodramen – Szenario - Liturgien


Info
Musikrichtung: Neue Musik

VÖ: 20.11.2006.

Naxos / Naxos
CD (AD DDD 1994 / 1998 / 2001) / Best. Nr. 8.570179


Gesamtspielzeit: 59:23



KAGELFACETTEN

Zum 75. Geburtstag Mauricio Kagels erscheint bei Naxos diese CD mit drei Werken, die das facettenreiche Schaffen des Argentiniers beleuchten.

Hinter Szenario verbirgt sich die 1981-82 entstandene Filmmusik zu Luis Buñuels und Salvador Dalis surrealen Stummfilmklassiker Ein andalusischer Hund aus dem Jahr 1928. Das Stück ist mit concerto grosso überschrieben: Knurren, Bellen und Jaulen von Hunden werden vom Tonband zugespielt und konzertieren gleichsam mit dem düster pulsierenden Streicherklang des Orchesters, das sämtliche aus Thrillern bekannten Soundtrackklischees abruft und überdies - frei nach Vivaldi - Hundelaute imitiert. Einige Zitate spielen auf Buñuels Originalvertonung (Ausschnitte aus Wagners „Tristan“ und argentinische Tangos) an. Abgesehen von diesen Bezügen ist Kagels streng gearbeitete Musik völlig autonom und auch ohne die spektakulären Bilder des Films lebensfähig. Ein spannender, ebenso unterhaltsamer wie verstörender Hörclip.
In den sechs Duodramen von 1997-98 lässt Kagel Persönlichkeiten der Weltgeschichte in fiktiven Disputen aufeinandertreffen (leider gibt es kein Libretto, die gesungenen Texte sind kaum verständlich). In den teilweise grotesk überspitzten Szenen mischen sich opernhafter Aplomb und Neue Musik zu eigenwilligen Orchesterliedern; das Ganze bleibt trotz aller karikierenden Übersteigerungen immer gut fasslich.
„Musik über Musik“ bestimmt auch das umfangreiche, mit drei Solisten, zwei Chören und Orchester groß besetzte dritte Stücke auf dieser Platte. Das 1989-90 komponierte Liturgien ist Kagels musikalische Antwort auf die Frage nach der Einheit in der Vielheit der Religionen: eine liturgische Meta-Musik, die mit den Mitteln der europäischen (Kirchen)Musik eine Textcollage aus jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubenszeugnissen vertont und ein imaginäres liturgisches Drama inszeniert. Aura und Atmosphäre sakraler Musik werden mit den Schein-Zitaten und verfremdeten musikalischen Gesten beschworen, klanglich überformt und verwandelt. Das Ergebnis ist ein sinnlich-ekstatisches Gegenstück zu dem von Kagel monierten „kalten Delirium“ theologischer Konstruktionen. Einheit ergibt sich im Gotteslob: Das vielstimmige Gebet mündet in eine fragile und spannungsvolle musikalische Gleichzeitigkeit, die die Vision einer religiösen Einheit immerhin erahnen lässt, gleichsam als Umkehrung der babylonischen Sprachverwirrung unter den Religionen.

In allen Fällen musiziert das Radio-Sinfonie-Orchester Saarbrücken unter der Leitung von Maricio Kagel, was für die Authentizität der Einspielungen bürgt. Auch technisch sind die Produktionen gelungen.
Die kurzen Werkeinführungen im Beiheft stammen u. a. von Kagel selbst.



Georg Henkel



Trackliste
01 Szenario 12:39
02-07 Duodramen 23:29
08 Liturgien 23:15
Besetzung

Margaret Chalter: Sopran
Martyn Hill: Tenor
Roland Hermann / Romain Bischoff: Bariton
Wout Oosterkamp: Bass

Gulbenkian Chor, Lisbon
Radio-Sinfonie-Orchester Saarbrücken

Ltg. Mauricio Kagel


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