Musik an sich


Reviews
Bizet, G. (Gardiner)

Carmen (DVD)


Info
Musikrichtung: Oper

VÖ: 3.12.2010

(fra Musica / harmonia mundi / 2 DVD / 2009, live / Best. Nr. FRA 004)

Gesamtspielzeit: 170:00

Internet:

Opéra Comique



FEMME FATALE

In origineller Aufmachung präsentiert das Label Fra Musica ein Opernerlebnis der besonderen Art: 2009 ging an der Opéra Comique in Paris eine ganz besondere "Carmen" über die Bühne, denn die Orchesterbegleitung führte das Orchestre Révolutionnaire et Romantique unter der Leitung seines Dirigenten John Eliot Gardiner auf historischen Instrumenten aus. Und dies stellt sich einmal mehr als Gewinn dar, entdeckt man doch noch einmal neue Nuancen auch in diesem sattsam bekannten Bühnenstück. Wie fast immer kommt die historische Besetzung vor allem den Holzbläserstimmen zugute, die wesentlich deutlicher in den Vordergrund treten und so erst die Vielfarbigkeit der Partitur hörbar machen. Zudem entsteht ein etwas abgedunkelter, reich schattierter Gesamtklang, der jede Überbrillanz vermeidet. Das Basson anstelle des moderenen Fagotts trägt dazu maßgeblich bei. Aber auch beim Blech gibt es merkliche Veränderungen: Der Einsatz der Piston (Kornett) anstelle der Trompete sorgt beispielsweise für einen deutlich rustikaleren Sound. Gardiners gewohnt rhythmisch-pointiertes Dirigat steht naturgemäß gerade der Carmen besonders gut zu Gesicht. Hätte man sich die Ouvertüre vielleicht noch etwas entschlossener angegangen vorstellen können, bleiben insoweit im weiteren Verlauf keine Wünsche offen. Hier wird glut- und temperamentvoll musiziert, wobei Gardiner - natürlich - auf die sich inzwischen mehr und mehr durchsetzende Originalpartitur zurückgreift und damit die später erfolgten Streichungen und Kürzungen rückgängig macht.

Dass Regisseur Adrian Noble zu diesem historisch geprägten musikalischen Ansatz kein Regie-Theater inszeniert hat, ist konsequent und unbedingt zu loben. Die Carmen benötigt als zutiefst menschliches Drama insoweit auch keinerlei Mätzchen, zumal Bizets Musik sie ohnehin in die Nähe eines Musicals rückt, das seine Inszenierung weitgehend selbst vorgibt. Traditionelle Kostüme, eine geschickte Personenführung und ein eher kleiner Bühnenraum, der von Beginn etwas von einer Arena hat, dazu ein rötlich-goldenes Licht - das sind Nobles Zutaten für eine stimmige, geschmackvolle Umsetzung des Stoffs.
In diesem Rahmen spieltAnna Caterina Antonacci in der Titelrolle ihre enorme Bühnenpräsenz überzeugend aus. Sie darf schauspielerisch und stimmlich als Idealbesetzung dieser femme fatale gelten: Nicht anders als Don José verfällt auch der Zuschauer unmittelbar ihrem Charme, der sich weniger aus kataloghafter Schönheit, denn aus aus sinnlicher Leidenschaft, innerer Unabhängigkeit, Kraft und Frivolität speist. Gestik und Mimik Antonaccis zeigen dies in jedem Moment und ihre Stimme ist nicht nur technisch perfekt geführt, sondern entfaltet genau jenen leidenschaftlichen Ausdruck, in dem die großen Gefühle von Liebe und Hass stets gefährlich nahe beieinander liegen. Es mag kein Zufall sein, dass Andrew Richards ihr in puncto Leidenschaftlichkeit da nicht ganz das Wasser reichen kann: während seine Stimme eine schöne und voluminöse Tiefe aufweist, fehlt ihr in den hohen Lage mitunter der Glanz und wirkt angestrengt. Einen kraftvollen Torero gibt Nicolas Cavallier in der Rolle des Escamillo, eine geradlinige Micaela ist Anne-Catherine Gillet.

Mit dieser Produktion ist "Carmen" nachhause zurückgeführt, erlebte das Werk doch 1875 seine Uraufführung an der Opéra Comique. Wenn damals der Erfolg zunächst bescheiden war, so darf diese Inszenierung als triumphale Wiedergutmachung am Werk und seinem Komponisten gelten.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Anna Caterina Antonacci: Carmen
Andrew Richards: Don José
Anne-Catherine Gillet: Micaela
Nicola Cavallier: Escamillo

Orchestre Révolutionnaire et Romantique
The Monteverdi Choir

Sir John Eliot Gardiner: Ltg.

Adrian Noble: Regie


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