Musik an sich


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Guillaume IX D'Aquitaine (Duisit)

Las Cansos del Coms de Peitieus


Info
Musikrichtung: Troubadour

VÖ: 01.05.2003

Alpha / Note 1 (CD DDD (AD 2002) / Best. Nr. Alpha 505)

Gesamtspielzeit: 55:00

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Alpha



ZWSICHEN ORIENT UND OKZIDENT: BRICE DUISIT SPÜRT DEN WURZELN DER TROUBADOURS NACH

Wer kennt ihn nicht: Troubadix. Der talentfreie Sänger beschloss viele der Abenteuer von Asterix und Obelix als gefesseltes und geknebeltes Bündel, derweil sich die Bewohner des unbesiegbaren Gallierdorfes nach glücklich überstandenem Abenteuer ihr wohlverdientes Wildschwein schmecken ließen. Offenbar war die antike Epoche (bzw. die Kehle des Troubadix) noch nicht reif für jenen Kunstgesang, der dann ab dem 12. Jahrhundert seine große Blüte vor allem in Frankreich erleben sollte.

Seine Wurzeln lagen im Süden, wo seine Schöpfer unter dem Namen Trobadors (provenzalisch von trobar: finden, erfinden, dichten) bekannt wurden. Von dort gelangte er in den Norden, in dem die Dichtersänger mundartlich Trouvères hießen. Das Thema der volkssprachlichen Dichtungen und Gesänge ist die höfische Liebe oder Minne, mit der ein Untergebener seiner adeligen Herrin huldigt.
Die ältesten überlieferten Troubadour-Lieder stammen von Guilhem de Peitieus, der auch unter dem Namen Guillaume IX, Herzog von Aquitanien und Graf von Poitiers (1071-1126) Eingang in die (Musik)Geschichte gefunden hat. Sein Ton ist noch nicht ganz so idealisierend wie bei manchem Nachfolgern, Liebe und Leben sind handfeste Angelegenheiten. Nur elf seiner Stücke sind auf uns gekommen, doch selbst deren Zuschreibung ist zweifelhaft. Ganz zu schweigen von den fragmentarischen Melodien in schwer zu deutender Notation. Für jeden Interpreten wäre es leichter, aus den jüngeren, besser überlieferten Quellen zu schöpfen, mit denen sich illustre Namen wie Bernart de Ventadorn, Marcabru, Peire d'Alvergne, Betran de Born u. a. verbinden.
Der Sänger Brice Duisit hat sich dennoch der Herausforderung gestellt, die Gesänge des Guillaume wiederzubeleben. Mit musikhistorischem Wissen allein ist es da nicht getan. Vieles, z. B. was die Rhythmisierung betrifft, gibt nach wie vor Rätsel auf. Es bedarf schon interpretatorischen Fingerspitzengefühls und einiger Fantasie, um aus den wenigen erhaltenen Spuren lebendige Musik und nicht nur eine blasse hypothetische Rekonstruktion werden zu lassen.

Als der langjährige Leiter des englischen Hilliard-Ensembles, Paul Hillier, Mitte der 1980er Jahre zusammen mit dem Harfenisten Stephen Stubbs bei ECM New Series unter dem Titel Proensa eine Sammlung mit Liedern der Troubadoure vorlegte, verzichtete er auf allen pseudomittelalterlichen Plüsch und fragwürdige Bearbeitungen "im Stil von". Sein geradliniger, unprätentiöser Ansatz überzeugte, weil er der historischen Realität aus moderner Perspektive sehr nahe gekommen sein dürfte.
Hillier findet nun in Duisits ganz eigenständiger Interpretation eine nicht weniger kongeniale Nachfolge. Auch Duisit vertraut allein auf seine Stimme und ein einziges Instrument, eine Fiedel, mit der er sich auch selbst begleitet. Seinen virtuosen, emphatischen Gesang zeichnet eine sehr markante Deklamation und große Farbigkeit aus, in der die orientalischen Ursprünge der westeuropäischen Musik nachklingen. Bei Duisit pulisert die Musik in kurzen, rhythmischen Phrasen, die dem Vortrag einen deutlich 'erzählenden' Duktus verleihen. Dabei bewegt sich die 'Melodie' mit ihren vielfältigen, 'orientalisierenden' Melismen und Koloraturen an der Grenze von kunstvoll stilisiertem Ornament und individuellem emotionalen Ausdruck. Die durchgehende instrumentale Grundierung mit dem flexiblen, aber auch körnig-spröden, rostroten Fiedel-Klang (dem auch zwei kurze improvisierte Solo-Nummern gewidmet sind), harmoniert zwar vollkommen mit der Expressivität von Duisits Gesang, ist aber eher etwas für den erworbenen Geschmack.

Angesichts der sängerische Hingabe, mit der Brice Duisit auf den Spuren von Guillaume IX d'Aquitaine wandelt, überzeugt diese "Rekonstruktion" durch ihre musikalische Lebendigkeit. Die Frage nach der historischen "Richtigkeit" wird da obsolet. Der künstlerischen Wahrheit dieser Interpretation wird sich der Hörer kaum verschließen können.



Georg Henkel



Trackliste
1Companhon farai un vers qu'er covinen04:44
2Companho tant ai agut d'avols conres03:20
3Interlude instrumental01:44
4Ben vuelh que sapchan li pulsor03:56
5Companho non puosc mudar qu'eo no m'effrei02:55
6Pus vezem de novelh florir07:07
7Mout jauzens me prec en amar05:15
8Farai un vers de dreyt nien04:38
9Farai chansoneta nueva04:25
10Ah la dolchor del temps novel04:16
11Farai un vers pos mi soneilh05:23
12Pos de chantar m'es pres talens05:37
13Postlude instrumental01:40
Besetzung

Brice Dusuit, Gesang und Fiedel


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