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Musik an sich
 
Dresden` 45 - Der Name ist Programm
 

Dass Musik mehr sagen kann als tausend Worte ist allgemein bekannt. Ganz besonders in der Noise- und Industrial- Szene, deren Musiker ihre Stücke zumeist gar nicht erst mit wirklichen Texten versehen, sondern sich auf das Einfügen von Samples, zerstückelter Fragmente aus Musikstücken, Filmen oder auch, um die Sache provokanter zu gestalten, politischen Statements. Darüber hinaus ist nicht nur der allseits bekannte Rudy Ratzinger, leitende Kraft hinter Szene- Aushängeschild :Wumpscut: lebender Beweis dafür, dass man die ein Projekt umgebende Aura des Geheimnisvollen in Interviews am wirkungsvollsten durch Vermeiden jeglicher über drei Sätze hinausreichenden Antworten aufrechterhält.

Konkurrenz könnte er neben der musikalischen auch in dieser Disziplin von Marcel Mulack erhalten, der unter dem Namen Dresden’45 vor kurzem sein zweites in Eigenregie veröffentlichtes Album „Anfang-Ende“ herausgebracht hat, das mit seiner Mischung aus brutalem Industrial und atmosphärisch dichtem, die Sinne betörendem Ambient zu überzeugen weiß. Die Antworten auf die sich aufdrängenden Fragen jedenfalls könnten auch dem erwähnten Großmeister zur Ehre gereichen. Doch Spaß beiseite, Dresden’45 hat wirklich etwas zu sagen und so kann ich nicht nur die Lektüre des folgend wiedergegebenen Gespräches sondern auch das Antesten der CD (Review in der letzten Ausgabe) wärmstens empfehlen.

MAS:
Den meisten Lesern wird Dresden´45 kein Begriff sein. Könntest Du Dich und Deine Musik zuerst einmal vorstellen? Wer, was und seit wann ist Dresden´45?

Marcel:
Ich heiße Marcel Mulack, bin 26 Jahre alt und lebe bzw. wohne in Gera. Dresden '45 ist ein Ein- Mann-Projekt, dass seit Anfang 1998 existiert. Ich habe seit 1991 in verschiedenen Musikprojekten mitgewirkt, aber das war nie die Musik, die ich eigentlich machen wollte. Meistens habe ich an Stücken herumexperimentiert, die in die Noise/ Industrial-Richtung gingen. Im Juni 1998 ist mein erstes Demo-Tape (das leider nicht mehr lieferbar ist) herausgekommen. Das Tape hieß „Dresden '45“. Der Name war Programm. Am 13./14. Februar 1945 fand die Bombardierung Dresdens statt, ein Inbegriff völliger Zerstörung. Dresden '45 steht symbolisch für Zerstörung, Gewalt und Elend in der Welt und ich fand Dresden '45 als Projektnamen passend für das, was meine Musik ausdrücken soll. Nach dem Tape war die „Feuertod“- CD nur noch logisch für mich.

MAS:
Eben diese Veröffentlichung "Feuertod" stammt bereits aus dem Jahre 1998. Wie kam es zu der langen Pause zwischen beiden CD's? Wäre es nicht förderlicher gewesen, sofort an den Erstling anzuknüpfen, um sich einen Namen zu machen?

Marcel:
Es ist ja immer eine Kostenfrage. Ich finde, man muss sich nicht selber unter Druck setzen. Wie heißt es so schön - “In der Ruhe liegt die Kraft“. In der Zeit zwischen den CD's hatte ich ein bisschen als DJ herum gewerkelt und mit einem Freund Goethes „Erlkönig“ in einer 16minütigen Fassung vertont und live aufgeführt.

MAS:
Was ich mir sehr gerne einmal zu Gemüte geführt hätte, da ich die Idee in diesem musikalischen Kontext für wahnsinnig interessant halte. Doch zurück zu Dresden’45: Wie würdest Du die bisherigen Reaktionen auf Dein Schaffen bewerten? Bist Du mit dem bislang Erreichten zufrieden?

Marcel:
Die Reaktionen und die Nachfrage beider CD's sind sehr positiv. Die Kritik von „Anfang-Ende“ im SONIC SEDUCER war auch ziemlich gut. Natürlich gibt es negative Meinungen, aber ich kann Kritik verkraften, das gehört dazu. Ich bin sehr zufrieden damit, wie es momentan mit Dresden '45 läuft, aber ohne Freunde, die einen tatkräftig unterstützen, wäre das alles gar nicht möglich.

MAS:
Wie spielt sich die Arbeit an einer CD wie "Anfang - Ende" ab? Gehst du nach einem Konzept vor oder arbeitest du mehr oder weniger wild rauf los? Kannst Du in etwa bestimmen, wie lange es zur Fertigstellung braucht?

Marcel:
Meistens habe ich schon vor Beginn eine gewisse Vorstellung, wie bestimmte Tracks klingen sollen. Ich verfolge oft einen roten Faden, nach dem ich die CD aufbaue. Ich setze mir keine Zeitlimits bis zur Fertigstellung. Manchmal hat man ja auch nicht immer Zeit und auch mal keine Lust. Wie schon einmal gesagt - man soll sich nicht zu sehr unter Druck setzen.

MAS:
Obwohl ich "Anfang - Ende" insgesamt als sehr gelungen empfinde, erscheinen mir "Meer der Flammen" und "Stunden der Besinnung" zum Ende hin ein wenig zu langatmig. Der durchweg auf der Platte erzielte hypnotische Effekt weicht in diesen beiden Fällen fast schon Langeweile. Kannst Du diese Kritik nachvollziehen, oder würdest Du sagen, dass alles so geworden ist, wie Du es beabsichtigt hast? Würdest du an der Platte, wie sie jetzt ist, etwas ändern wollen?

Marcel:
Ich finde, Stücke wie „Meer der Flammen“ und „Stunden der Besinnung“ benötigen eine gewisse Länge, so dass man Zeit hat, um sich in das Stück rein zuhören und sich seine Gedanken machen zu können. Natürlich sagt man später, das hätte man noch ein bisschen ändern können, aber das ist ja immer so. Jede CD ist eine Momentaufnahme, die die Gedanken und Eindrücke zur Zeit der Produktion wiederspiegelt.

MAS:
Ich persönlich muss zugeben, dass mir, wenngleich die Mischung auf dem Album sicher stimmt, die härteren, Industrial- lastigen Stücke etwas mehr zusagen als die Ausflüge in den Ambient- Bereich. Ziehst Du selbst eines dem anderen vor, oder wirst Du weiter mit dem Kontrast zischen beidem arbeiten?

Marcel:
Ich bin für eine schöne Mischung aus beiden, mit dem Gegensatz zu arbeiten macht mir Spaß. Es gibt Momente, in denen mir zu einem Thema, das ich verfolge, nur ein ruhiges Stück einfällt. So ist es auch mit den härteren Tracks und ich denke nicht, dass sich dies ändern wird.

MAS:
Anhand der Songtitel und der verwendeten Samples glaube ich ablesen zu können, dass es Dir auch sehr um Inhalte geht. Die Aufmachung der CD, der Name "Dresden´45" und die auftauchenden Begriffe und Äußerungen wie "Propaganda" oder "Feind hört mit" weisen relativ eindeutig in eine bestimmte Richtung. Sind diese Assoziationen einkalkuliert und, wenn ja, welcher Zweck steckt dahinter? Provokation um der Provokation Willen?

Marcel:
Die CD „Anfang-Ende“ kann man als Konzeptalbum ansehen, dass sich durchgehend mit der Situation im 2. Weltkrieg befasst. Manipulierte Menschen, die in den Krieg gehetzt wurden und damit in den sicheren Tod. Städte lagen in Schutt und Asche. Das war der Anfang vom Ende. Die eingesetzten Samples unterstützen das Ganze und geben vielleicht in etwa die Stimmung wieder, die damals herrschte.

MAS:
Vertritt Dresden´45 eine eigene politische Meinung oder dienen die Stücke, die auf Derartiges deuten, lediglich als Gedankenanstöße?

Marcel:
Eine politische Meinung vertritt Dresden '45 nicht. Ich versuche Politik aus meiner Musik fern zuhalten, was aufgrund der benutzten Samples nicht einfach ist. Schnell wird man in irgendeine Ecke gedrängt. Es wird immer Menschen geben, die einem irgend etwas unterstellen wollen, aber da stehe ich drüber! Ich kann niemanden vorschreiben was er denken soll, wenn er meine Musik hört.

MAS:
"Haben wir die Macht?" - Eine Frage, die sicherlich nicht nur auf den sich in diesem Fall zuerst aufdrängenden Kontext gestellt werden muss. Auch ein Bezug zur aktuellen Wirklichkeit? Wenn ich an das denke, was sich in der Vergangenheit in Deutschland abgespielt hat, von der Zustimmung zum Afghanistan- Einsatz bis zur eleganten Lösung der K-Frage, kommen mir noch weitere Verbindungen zu dieser Frage in den Kopf. Wer hat Deiner Meinung nach die Macht? Haben wir überhaupt das Einsehen darin, wer die Macht hat?

Marcel:
Natürlich kann man einem Bezug zu aktuellen Dingen ziehen. Haben wir ( der Staat) die Macht? Die Macht, den Menschen noch mehr zu überwachen, und somit ihn und sein Leben noch transparenter zu machen?! Darin besteht, wie ich finde, eine große Gefahr für das freie Leben. Damit hat für mich der Staat eine sehr beängstigende Macht erlangt. Schlimm der Gedanke, dass man in naher Zukunft ein Leben wie hinter Glas führen könnte.

MAS:
Immer wieder unterbrochen werden Lieder wie "Haben wir die Macht" und „Heimat der Propaganda" von nicht nur musikalisch, sondern auch hinsichtlich der Titelgebung ruhigeren Stücken. Können "Ein weiter Tag" und "Stunden der Besinnung" als der Rückzug des Einzelnen verstanden werden, der dem Einfluss derjenigen, die ihm die besagte Macht nehmen, die ihn beeinflussen und manipulieren, zu entgehen sucht?

Marcel:
"Ein weiter Tag" drückt aus, dass es auch in Ausnahmefällen weitergeht, weitergehen kann. Nach solchen Ausnahmesituationen folgen meist Ruhephasen, die einem das Erlebte noch einmal vor’s geistige Auge führen. Das sind die Stunden der Besinnung.

MAS:
Was ist für Dich "ein weiter Tag"? Was fällt Dir zu diesem Begriff ein?

Marcel:
Das ist unterschiedlich zu sehen. Ein weiter Tag gibt einem vielleicht eine Chance, etwas wieder gut zu machen, was man am Vorabend verzapft hat. Ein weiter Tag gibt erneut Hoffnung, dass wir endlich einsehen, dass wir nicht die Krone der Schöpfung auf dieser Erde sind.

MAS:
Wohin willst Du mit Deiner Musik noch kommen? Gibt es außerhalb der Musik konkrete Pläne oder auch Wünsche, die Du Dir unbedingt erfüllen möchtest?

Marcel:
Ich hoffe, dass Dresden '45 einen festen Platz in der Noise/Industrial-Szene einnehmen kann. Ein großer Wunsch, den ich schon lange hege, ist irgendwann mal einen Trip durch Australien zu machen.

MAS:
Zu Guter letzt die obligatorische Frage nach Deinen Einflüssen. Welche Künstler haben Dich geprägt und welcher Art von Musik schenkst Du privat Dein Gehör?

Marcel:
Beeinflusst hat mich der Noise/ Indusrial der frühen 80ziger. Geprägt haben mich Künstler, wie zum Beispiel Deutsch Nepal, BDN oder auch Non. Ich höre viele Musikstile; von 80er Jahre Pop über Dark-Elektro/Dark –Wave bis hin zu guter Gitarrenmusik, wie sie Garbage und Placebo spielen. Besonders möchte ich aber noch die beste Pop-Band der Welt hervorheben: Die Pet-Shop-Boys!

MAS:
Ich bin meinerseits am Ende. Und das nicht nur wegen der zuvor gegebenen Antwort. ;o) Deine letzten Worte...

Marcel:
Ich hoffe, ich konnte Dir und Deinen Lesern das Projekt "Dresden '45" ein wenig näher bringen. Ich wünsche Dir und den Lesern alles Gute und sage Tschüss!

P.S. Schaut doch mal bei www.torpor-records.de rein.

MAS:
Wird gemacht. Ich danke Dir vielmals für das Interview und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg.

Thorbjörn Spieß

 

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