Musik an sich


Reviews
Partch, H. (Ensemble 'Partch')

Plectra and Percussion Dances (The Music of Harry Partch Vol. 2)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 21.11.2014

(Bridge Records / New Arts International/ CD / DDD / 2010/ Best. Nr. BRIDGE 9432)

Gesamtspielzeit: 55:32



MIKROTONALER GROOVE

Für einem kurzen Moment könnte man meinen, es handle sich um Gamelan-Musik. Bis sich dann schräge Zupflaute wie von einem verstimmten Riesenbanjo und eine Art Handtrommel ins Geschehen mischen und das Ganze einen merkwürdigen Mix ergibt, der in ein musikalisches Fantasiereich zwischen dem hintersten Asien und dem Mttleren Westen der USA zu führen scheint. Willkommen in der Musikwelt von Harry Partch! Das Label Bridge Records setzt seine Partch-Edition fort. Nach dem literarischen Partch der "Bitter Music", einem musikalisch illustrierten Journal seiner Hobo-Jahre während der Großen Depression folgt nun "endlich" der höchst originelle Komponist, der zugleich ein begnadeteter Erfinder und Erbauer von ungewöhnlichen und kunstvollen Instrumenten gewesen ist.

Der Eingangsstück auf der CD aus dem Tanztheaterstück Castor und Pollux bringt z. B. die von Partch modifizierte 'Kithara' und die 'Surrogate Kithara' (die vermeintlichen "Riesenbanjos") sowie die 'Cloud Chamber Bowls' zusammen, die aus riesiegen, zurechtgesägten Glasflaschen besteht, wie man sie in der chemischen Industrie verwendet. Später kommen noch der 'Harmonic Canon' und die 'High Bass Marimba', die 'Diamond Marimba' und schließlich die 'Low Bass Marimba' dazu. Dann gibt es noch eine 'Marimba Eroica' ein Riesenteil, das aussieht wie ein Holzglockenspiel für King Kong. Ein umgebautes Harmonium, 'Chromelodeon' genannt, produziert wunderbare Harmonien und Klangfarben, die wie von einem Synthesizer klingen. Und so weiter ... (Auf der Seite http://musicmavericks.publicradio.org/features/feature_partch.html kann man sich das alles genau anschauen und sogar virtuell selbst spielen! Zu vollster Wirkung kommt Partch' Musik freilich immer erst bei einer Live-Aufführung. Im vergangenen Jahr konnt man das auf der Ruhrtriennale mit dem Ensmelbe musikFabrik erleben: https://www.youtube.com/watch?v=TKU0KBivZ7c#t=607).

Wozu der ganze Aufwand? Partch verwendete sein eigenes Ton- und Harmoniesystem, auf dessen Grundlage er eine ungewöhnliche mikrotonale Musik komponiert hat. Das wohltemperierte westliche Stimmungssystem verabscheute er, es klang für ihn - und das ist ja auch ganz korrekt gehört - falsch und verstimmt. Die herrlich schönschräg, manchmal zauberhaft und dann wieder unheimlich schillernden mikrotonalen Harmonien und Klangfarben sind das hervorstechendste Merkmal von Partch Musik. Hier ist er wirklich ein Avantgardist. Dazu kommt aber auch eine sehr handfeste Seite: Die Lust an der Musik, an Tanz, Ausdruck und Theater, an Puls, Groove und Drive, kurz: an szenischer Wirkung und Rhythmus. So ist Partch Musik auf wirklich seltsame Weise eingängig, mitreißend und magisch, sozusagen wie Ethnomusik von einem fremden Planeten.

Das Ensemble Partch hat die kostbaren Originalinstrumente von Partch nachgebaut und bietet ebenso tadellose wie inspirierte Darbietungen des frühen Zyklus' Plectra an Percusssion Dances, der aus drei Tanztheaterstücken besteht: Castor and Pollux, Ring around the Moon, Even wild Horses. Zwar hat Partch diese Stücke mit seinem damaligen Hausensemble selbst eingespielt, doch war die Wiedergabe fehlerhaft und es fehlten nicht nur ein Saxophonpart, sondern Abschnitte der Komposition. Jetzt erklingen die Stücke zum ersten Mal so, wie Partch sie komponiert hat. Und nicht zuletzt aufgrund der großartigen präsenten und räumlichen Aufnahmetechnik ist das Ergebnis wirklich fantastisch. Partch' frühes Orchester ist noch eher ein Kammerensemble bzw. eine Band. So kann man das Spiel von Mikrotönen, Klangfarben und Rhythmen in schönster Transparenz genießen. Partch entdeckt viele zarte, lyrische Momente, bleibt der Musik aber auch nichts an physischer Kraft und heimeliger Unheimlichkeit schuldig. Auf einem Bonus-Track kommt der Meister auch selbst zu Wort, angelegentlich der Radioausstrahlung von Plectra and Percussion im Jahr 1953.
Zu Recht wurde die Aufnahme für einen Grammy 2015 nominiert. Es würde mich nicht wundern, wenn sie den auch bekommt!



Georg Henkel



Trackliste
Plectra and Percussion Dances:
01-08 Castor & Pollux (A Dance for the Twin Rhythms of Gemini) 14:58
09-12 Ring Around the Moon (A Dance Fantasm for Here and Now) 9:20
13-20 Even Wild Horses (Dance Music for an Absent Drama) 24:03
21 Bonus: H. Partch intodruces the 1953 premiere 7:11

 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>