Musik an sich


Reviews
Holmen, J. (Andersen – Haltli – Snekkestad)

Oortcloud


Info
Musikrichtung: Neue Musik Kammermusik

VÖ: 15.11.2010

(Da Capo / Naxos / CD / DDD / 2009 / Best. Nr. 8.226562)

Gesamtspielzeit: 56:25



NIEMANDSLAND ZWISCHEN KLANG UND STILLE

Oort Cloud ist eine 40-Minuten-Klang-Sphäre, inspiriert durch die Wolke aus Kometen, von der man annimmt, dass sie das Sonnensystem in einem Lichtjahr Entfernung umkreist. Die Musik ist extrem langsam und unerbittlich, einer kosmischen Katastrophe nicht unähnlich.“ So der kurze Kommentar des dänischen Komponisten Jexper Holmen zu seinem experimentellen Stück aus dem Jahr 2008, das von den Akkordeonisten Frode Andersen und Frode Haltli sowie dem Saxofonisten Torben Snekkestad eingespielt wurde. Man findet diesen Hinweis nur online. Das Beiheft zur CD ist eher ein grafischer Kommentar zur Musik: Die Buchstaben aus dem Namen des Komponisten und vom Titel des Stücks wurden hier in endlosen Permutationen und mehr oder weniger flächendeckend auf die Seiten gedruckt. Zeichenwolken und –konstellationen, von aufgelockert bis dicht. Konkret und unbestimmt zugleich.

Das passt zur Musik: Eingebettet in die ungreifbaren, silbrig-irrisierenden Clusterklänge der beiden Akkordeons, die an fernes Orgelspiel gemahnen, bewegt sich der Saxophon-Part richtungslos innerhalb kleiner Intervalle und lang ausgehaltener Töne in differenzierter Blastechnik – Obertöne, Mehrklänge, Flatterzunge, Anblasgeräusche - zwischen vielfachem Piano und grellem Fortissimo. Während der Klang des Blasinstruments im ersten Fall mit dem der Akkordeons verschmilzt und so etwas wie ein luminoses Halo erzeugt, tritt er im zweiten Fall geradezu martialisch röhrend hervor. Das metallisch-scharfe Obertonspektrum drängt sich sozusagen dicht an das Ohr des Hörers heran, um sich dann wieder langsam davon zu entfernen, bis erst ein fernes Gleißen und schließlich nur noch ein unbestimmbares Glimmen zurückbleibt. Mal klingt das Saxophon wie eine menschliche Stimme, dann wieder wie ein elektronisches Instrument.
Das ist eine sehr statische Musik, die fast an eine Klanginstallation erinnert. Assoziationen von himmlischer Weite, von Sternenstaub und kosmischer Strahlung drängen sich geradezu auf. Bei den dynamischen Höhepunkten meint man, einem unbekannten Himmelskörper auf „Sichtweite“ nahe gekommen zu sein. Dann wieder scheint man sich in endlosen Räumen zu verlieren und die Existenz der Kometen, die sich in der Oortschen Wolke befinden sollen, nur so eben ahnen zu können.
Das Ganze ist trotz seiner Sparsamkeit ausgesprochen suggestiv, ja hypnotisch. Man lauscht den minuziösen, über lange Zeiträume sich hinziehenden Klangverwandlungen fasziniert – die Besetzung klingt ja auch einfach sehr gut -, und merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht, bis sich das Stück nach rund 40 Minuten einfach in jene Stille hinein verflüchtigt, aus der es hervorgegangen ist.

Nach einer kurzen Pause folgt – unter dem gleichen Track! - ein zweites Werk in der genannten Besetzung. Allerdings ist der Komponist ein anderer. Martin Stig Andersens Cosmogyral Echo (2010) spielt jedoch ebenfalls auf kosmische Räume und Vorgänge an. In Textur und Haptik ähnelt es dem ersten Werk so, dass sowohl der Titel (Echo) wie auch die Kombination und der lose Anschluss stimmig sind. Das Saxofon verbleibt hier aber durchweg im Hintergrund, als gefärbtes Rauschen. Man vernimmt davon nur ein fernes, dunkles Glühen, während die Akkordeonklänge sich in immer eisigere, dünnere Höhen hinaufbewegen, bis ein Niemandsland zwischen Klang und Stille erreicht wird. Wie schon beim ersten Stück gewinnt man den Eindruck, lediglich einem Ausschnitt aus einer potentiell unendlichen – ewigen – Musik gehört zu haben.
Ein experimenteller Trip für Hörer mit offenen Ohren und kontemplativem Geist! Diese Reise tritt man am besten über Kopfhörer an.



Georg Henkel



Besetzung

Frode Andersen: Akkordeon
Frode Haltli: Akkordeon
Torben Snekkestad: Sopransaxofon



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