Musik an sich


Reviews
Bach, J. S. (Woodward)

Das Wohltemperierte Klavier I & II


Info
Musikrichtung: Barock Klavier

VÖ: 19.10.2009

(Celestial Harmonies / Naxos / 2 & 5 CD / DDD / 2008)



PROFUND

Gespielt hat der Australier Roger Woodward, Jg. 1942 die Musik von Johann Sebastian Bach ein Leben lang. Doch erst in jüngerer Zeit konnte man ihn damit im Konzert und auf CD hören. Erste Früchte seiner Auseinandersetzung, ein Einspielung u. a. mit der „Chromatischen Fantasie“ und zweier Partiten aus dem 1. Teil der Klavierübung, wurden 2007 von der deutschen Schallplattenkritik preisgekrönt. Doch verglichen mit dem neuesten Bach-Projekt nimmt sich diese eine CD beinahe wie ein Testlauf aus. Denn jetzt hat Woodward gleich beide Volumen des Wohltemperierten Klaviers vorgelegt. Sie erscheinen in sorgfältig ausgestatteten Editionen, in der limitierten Luxus-Version sogar eingelegt in edle schwarze Pappschatullen mit den Faksimiles der Autographen.

Es ist aber vor allem das musikalische Niveau, welches den besonderen Rang dieser Produktion ausmacht. Woodward ist ein außerordentlich reflektierter Künstler. In seinen beiden umfangreichen Begleit-Essays bietet er einen Überblick über die wechselvolle Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte des Wohltemperierten Klaviers. Das musikalische Ideal des Komponisten (und seiner Zeitgenossen) auf dem Cembalo bringt er dabei mit dem Terminus legato cantabile auf den Punkt. Gemeint ist damit ein der menschlichen Singstimme nacheifernder Vortrag, der die Begrenzungen des Kurztoninstruments durch spieltechnische Finesse vergessen macht. Davon ausgehend nimmt Woodward die Aufführungsmöglichkeiten auf anderen Tasteninstrumenten der Bachzeit (Clavicord, Spinett, Orgel, frühes Fortepiano) und der späteren Epochen in den Blick. Seit dem späten 18. Jahrhundert steht dabei das Hammerklavier im Zentrum. Dessen nach und nach immer voluminöserer Klang erleichtert die Illusion des Legatospiels und bietet ganz neue dynamische und koloristische Möglichkeiten, neigt freilich auch dazu, die Konturen der Musik bei mangelnder Kontrolle zu verwischen.

Woodward selbst spielt das Nonplusultra des modernen Flügelbaus, einen Steinway D. Mit diesem opulenten Medium unter seinen Fingern unternimmt er es, gleichsam eine Synthese der unterschiedlichen Klang- und Interpretationsmodelle zu formulieren, ohne sich dem einen oder anderen im Extrem zu überlassen. Woodward ist nicht wie Glenn Gould darauf aus, auf dem Flügel einen trockenen durchsichtigen Cembaloklang zu imitieren. Ebenso wenig teilt er die Neigung von Daniel Barenboim, die Stücke im Geiste von Leopold Stokowski als Pianoversion romantischer Orchestermusik zu deuten. Dennoch ist unüberhörbar, dass Bachs Claviermusik für Woodward die Aura der Romantik, ja des Impressionismus und einer konstruktivistischen Moderne in vieler Hinsicht vorwegnimmt.
So finden in Woodwards Interpretation die organische Darstellung des Kontrapunkts und das Auskosten der kühnen „wohltemperierten“ Harmonik, die kontemplative Konzentration und die blitzende Virtuosität, die Klarheit der Linie und orchestrale Klangwirkungen ganz organisch zueinander. Bündelnd wirkt dabei nicht zuletzt jene oben genannte Vorstellung der Kantabilität. Dass Woodward dazu die Klangpotentiale seines Instruments entfaltet und auch sensibel mit dem Pedal orchestriert, verleiht seiner Darstellung etwas weit Ausschwingendes, Atmendes, Freies. Gleich das berühmte Eröffnungsstück des I. Teils, das Präludium C-Dur, verströmt sich wie mit einer großen Wellenbewegung. Wechsel des Tempos verdeutlichen die Struktur und steigern den Ausdruck. Bei anderen Stücken lassen die profund aufklingenden Basssaiten die Bauchdecke des Hörers vibrieren, ohne sich gleich vernebelnd über die ganze Musik zu legen. Die Verzierungen, die auf dem Klavier schnell undeutlich wirken, klingen stets klar und leichtgängig, sind dabei nicht bloße ornamentale Zutat, sondern auch Farbe.
Liegt das am souveränen Handling Woodwards oder an der tontechnischen Kontrolle? Beides wird seinen Anteil an diesem gelungenen Wechselspiel der Kräfte haben, das im Ganzen durchaus das Zeug zur einer weiteren Referenz hat.

Die Aufnahme erscheint gleichzeitig in verschiedenen Versionen:
I & II m. Booklet + Taschenpartitur in Box: Nr. 19922-5
I m. Booklet + TP in Box: 14281-5
II m. Booklet + TP in Box: 19921-5
I & II m. Booklet 19122-2
I m. Booklet: 14281-2
II m. Booklet: 19121-2



Georg Henkel



Besetzung

Roger Woodward: Klavier


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>