Musik an sich


Reviews
Puccini, G. (Beermann)

Manon Lescaut (DVD)


Info
Musikrichtung: Spätromantik Oper

VÖ: 19.09.2008

(Arthaus Musik / Naxos / DVD 2008 / Best. Nr. 101 319)

Gesamtspielzeit: 120:00

Internet:

Arthaus



STERNSTUNDE OHNE STARS

Es mag zunächst erstaunen, mit wie viel technischem Aufwand und welcher Liebe zum Detail das Label Arthaus eine Opernproduktion aus einem nicht unbedingt mit nationalem oder gar internationalem Ruhm versehenen Stadttheater realisiert hat. Doch die Investition hat sich gelohnt und diese "Manon" beweist, dass hohe Qualität nicht immer große Namen braucht. Dabei hat Ansgar Weigner mit seinem Teil der Inszenierung von Puccinis erstem durchschlagenden Bühnenerfolg durchaus kein Regie-Neuland betreten. Die Inszenierung begnügt sich vielmehr weitgehend mit einer 1:1 Bebilderung jener Verismo-Geschichte um die zwischen Geld und Liebe hin- und hergerissene Manon, die durch ihren Wankelmut letztlich nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Verehrer Des Grieux ins Verderben reißt. Nur im letzten Akt, den Weigners Vorgänger Dietrich Hilsdorf inszenierte, bevor er krankheitsbedingt aus dem Projekt ausschied und Weigner übernahm, findet sich eine echte Neuerung: die Flucht der Liebenden, auf der die entkräftete Manon den Tod findet, endet hier im unterirdischen Kanalsystem von Paris. Hilsdorf umgeht damit geschickt jenen Sprung in Ort und Handlung den das Originallibretto fordert, wo sich diese Szene in der amerikanischen Wüste, fernab vom heimatlichen Frankreich abspielt. Darüber hinaus gelingt an dieser Stelle ein tiefgründiges Psychogramm der Protagonisten und ihrer von Anfang an hoffnungslosen Beziehung zueinander. Des Grieux unternimmt in dieser Inszenierung keinen ernsthaften Versuch mehr, Manons Leben zu retten, da er selbst vollkommen desillusioniert und innerlich aufgezehrt ist vom Kampf gegen die innere Wüste, von der Manon beherrscht wird.

In den drei vorangehenden Akten bleibt der Zuschauer hingegen von Überraschungen in puncto Personenführung, Bühnenbild und Ausstattung verschont. Die Geschichte wird so natürlich wie möglich dargestellt. Da die flink, aber nicht hektisch bewegte Kamera nie die Guckkastenperspektive aus dem Zuschauerraum und selten die Totale einnimmt, sondern den Handelnden nah auf den Leib rückt, bekommt das Bühnengeschehen Spielfilmcharakter, wozu nicht zuletzt die überzeugende darstellerische Leistung der Sänger beiträgt, allen voran Astrid Weber in der Titelrolle.

Sie füllt die Figur der Manon aber nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich ausgezeichnet und facettenreich aus. Eine echte Überraschung im positiven Sinne ist der georgische Tenor Zurab Zurabishvili als Manons Liebhaber Des Grieux. Er gibt der Stimme genau die richtige Portion Emotion und Schmelz bei, ohne das ganze bis zum Schmalz zu übertreiben. Eine Gratwanderung, die nur wenigen gelingt. Sein Tenor ist durchsetzungsstark und volumenreich. Nur bei den Spitzentönen der hochdramatischen Szenen setzt Zurabishvili ein bißchen zu viel Kraft ein, was dann auch mal auf Kosten der sauberen Intonation geht.
Mit Kouta Räsänen verfügt das Chemnitzer Ensemble zudem über einen hervorragenden, beweglichen und erstaunlich profunden Bass. Es ergibt sich allerdings das leidige Stadttheaterproblem, dass man dem jungen Räsänen den fiesen, alternden Steuerpächter Geronte nur schwer abnimmt. Hier wäre die Regie vielleicht besser beraten gewesen, diesen einmal als unsympatischen, aber gleichaltrigen Widersacher Des Grieux´ zu inszenieren.

Frank Beermann, seit der Spielzeit 2007/2008 Generalmusikdirektor in Chemnitz, liefert eine herausragende Visitenkarte sowohl seiner Klasse als auch der seines Orchesters ab. Die Orchesterfarben leuchten in aller Vielfalt auf, das musikalische Geschehen wird vor allem durch Betonung der Mittelstimmen in steter Spannung und Bewegung gehalten und damit die häufig anzutreffende "Puccini-Einheitssauce" vermieden.
Der unterirdische Tunnel des letzten Aktes bereitet der Tontechnik ein paar Probleme, so dass hier der Klang zeitweise durch einen unnatürlichen, dumpfen Nachhall beeinträchtigt wird.

Alles in allem eine packend inszenierte, musikalisch hochkarätige "Manon", die den Vergleich mit internationalen Spitzenproduktionen nicht zu scheuen braucht.
Eine 24minütige Dokumentation, bestehend aus Interviews mit einigen der Mitwirkenden, rundet die DVD ab.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Astrid Weber: Manon Lescaut
Heiko Trinsinger: Lescaut
Zurab Zurabishvili: Des Grieux
Kouta Räsänen: Geronte
Edward Randall: Edmondo

Robert-Schumann-Philharmonie

Frank Beermann: musikalische Leitung

Ansgar Weigner: Inszenierung


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