Musik an sich


Reviews
Riley, T. (Hillier)

In C


Info
Musikrichtung: Minimal Music

VÖ: 18.11.2006

Ars Nova / Naxos
CD (AD DDD 2005) / Best. Nr. 8.226049


Gesamtspielzeit: 55:19



ZEITLOS PSYCHEDELISCH

Ein Schlüsselwerk der Minimal Music, das in dieser außerordentlichen Interpretation alles andere als minimal klingt: Terry Rileys berühmtes Ensemblestück In C besteht aus 53 melodischen und rhythmischen Modulen, die von den Interpreten bei einer Aufführung improvisierend zum fertigen „Werk“ zusammengefügt werden.
Der gelenkte Zufall hat freilich Methode: Mit seinen kaleidoskopartigen polyphonen und polyrhythmischen Schichtungen, den illusionären Spiegelungen, Brechungen und klangräumlichen Metamorphosen hat das Werk z. B. wenig gemein mit den manchmal sehr maschinell wirkenden Phasenverschiebungen im Frühwerk von Steve Reich.
Bei Riley wuchert und wächst die Musik gleichsam aus einer Zellkultur zu einem komplexen Organismus heran. Der allerdings scheint eher von einem anderen Stern als von der Erde zu kommen. Die Wirkung ist archaisch, poppig und psychedelisch zugleich, so als habe der erste große Meister der Mehrstimmigkeit, Perotinus Magnus, Ende des 12. Jahrhunderts auch gleich noch das LSD dazu erfunden. Es dürfte nur wenig Musik des 20. Jahrhunderts geben, die zugleich so typisch für ihre Entstehungszeit ist – die hippen 60er – und dennoch absolut zeitlos wirkt.

In dieser Interpretation von Paul Hillier wird In C zu einem echten Chorwerk. Riley selbst hatte schon vor zehn Jahren mit Hillier zusammen eine solche Vokalfassung auf dem Papier konzipiert. Dass dieses Projekt jetzt endlich mit derart kompetenten Interpreten realisiert wurde, ist ein Glücksfall.
Die 12 Sänger/innen von Ars Nova Coppenhagen erzeugen zusammen mit den sieben Marimba-Spielern des Percurama Percussion Ensemble einen unwiderstehlichen Klangzauber. Die menschliche Stimme macht aus dem Modulpuzzel eine atmosphärisch dichte Musik, beschwörend und malerisch. Phasenweise scheint die Musik regelrecht abzuheben.
Hillier und sein Team haben darauf geachtet, dass sich die Texturen über dem Grundpuls immer spannungs- und kontrastreich entwickeln, so dass die Musik trotz der strengen tonalen Fixierung und des Baukastenprinzips in keinem Moment ermüdet. Der durchgehaltene Puls sorgt für einen unwiderstehlichen Vorwärtsdrall, der jedoch (auch Dank der menschlichen Stimmen) nichts Mechanisches an sich hat. Dafür sorgt schon die geschickte Überblendung von Phasen mikropolyphoner Dichte und kammermusikalisch aufgelichteten Abschnitten. Immer wieder kommt es dabei zu gleichsam evolutionären Sprüngen in der Kombination des scheinbar simplen Ausgangsmaterials. Obwohl nichts passiert, geschieht doch unendlich viel. Ein Paradox: Wenn dieser Trip nach rund einer Stunde endet, wundert man sich nur, „wie schnell die Zeit stehen geblieben ist“. Und schaltet gleich wieder ein.



Georg Henkel



Besetzung

Ars Nova Coppenhagen
Percurama Percussion Ensemble
Ltg. Paul Hillier



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