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Reviews
Molière – Lully, G. B. (Dumestre – Lazar - Roussat)

Le Bourgeois Gentil-Homme – Der Bürger als Edelmann


Info
Musikrichtung: Ballett-Komödie

VÖ: 16.11.2005

Alpha / Note 1
2 DVD (AD 2004) / Best. Nr. Alpha 700


Gesamtspielzeit: 262:00



KÖNIGLICHE UNTERHALTUNG

„Dieses Stück ist etwas betrüblich und langweilig. Kann man es nicht etwas fröhlicher machen?“ Monsieur Jourdain, der naive, aber bildungswillige neureiche Bürgersmann müht sich ja redlich. Aber echter Adel, Kunstverstand und guter Geschmack lassen sich auch mit sehr viel Geld nicht kaufen. Und so träumt er seinen Traum vom Edelmann in aller Herzenseinfalt, während das Wunder doch in diesem Moment um ihn herum geschieht: Sein Maitre de musique hatte nämlich ein wahrlich köstliches Air komponiert. Aber Jourdain ist taub für die subtilen Schönheiten der Musik. Während man als Zuschauer diskret eine Träne vergießt, intoniert er einen Gassenhauer. Das wäre, zum Leidwesen der Künstler, grad’ so nach seinem Geschmack. „Aber er zahlt gut. Und wir tun, was wir können.“ So werden die ästhetischen Skrupel schließlich beschwichtigt.

Das französische Label Alpha leistet sich diese künstlerische Skrupel. Seit fünf Jahren setzt es auf einen nicht unbedingt massentauglichen Geschmack und unbedingte Qualität. Bei ca. 90 Produktionen im Katalog verkauft man rund 250.000 CDs pro Jahr! Das wurde in der lahmenden Klassikbranche schon als echtes Wunder gefeiert. Mit seiner ersten DVD-Produktion ist sich das Label gleich in mehrfacher Hinsicht treu geblieben: Wie üblich stecken die beiden Silberlinge in einer außen schwarzglänzenden, innen marmorierten Pappschatulle. Nicht nur die Klang-, auch die Bildqualität ist tadellos. Und das Programm könnte französischer kaum sein: die Ballett-Komödie Le bourgeois gentilhomme – Der Bürger als Edelmann, das letzte, vielleicht vollkommenste Teamwork von Molière und Jean-Baptiste Lully.
Das Werk, das das klassische Sprechtheater mit Tanz, Gesang und Showelementen verschmilzt, gehört zum kulturellen Erbe der Grande Nation. Dabei hat man sie seit der Uraufführung 1670 praktisch nur noch in einer verstümmelten Fassung gespielt. Nicht nur das Stück selbst wurde den wechselnden Moden und Geschmäckern moderner Jourdains angepasst. Vor allem die Musik musste dran glauben, wurde ersetzt oder ganz gestrichen. Dank der Fortschritte in der historischen Aufführungspraxis fanden die herrlichen Ensembles, das Ballet des nations und das große türkische Entrée zwar nach und nach eine zweite Heimat in Konzerten und auf der CD. Aber erst jetzt haben es drei junge Künstler mit ihren musizierenden, tanzenden und schauspielernden Kollegen unternommen, die ursprüngliche Einheit der Künste im Ganzen wiederherzustellen.

Eine rund einstündige Dokumentation klärt über die Idee, die Konzeption und Umsetzung auf. Es ist nicht verkehrt, hier zu beginnen: bei der Entscheidung für eine neobarocke Inszenierung, die sogar die originale Beleuchtung – 800 Kerzen! – berücksichtigt. Doch ist diese Rekonstruktion der Lichtverhältnisse wie auch die Wahl der richtigen Kostüme, die Wiederherstellung der authentischen Aussprache, der barocken Bewegungen, Gestik und Mimik kein Selbstzweck. Vielmehr gelingt es auf diese Weise, den Zusammenhang von Sprechtheater, Gesang und Tanz zurück zu gewinnen. Die kunstvoll geformte Rhetorik tendiert zum Gesang, der Gesang ist musikalisierte Sprache, die Schritte und Gesten der Schauspieler gewinnen tänzerische Qualitäten, wie umgekehrt der Tanz zur ausdrucksvollen Körper-Sprache wird. So gehorcht am Ende alles einer durch und durch musikalischen Choreographie: das beschwingte, hinreißend klangschöne Musizieren von La Poème Harmoninque unter Vincent Dumestre trägt das engagierte, auch derb komödiantische Spiel der Darsteller/innen unter der Regie von Benjamin Lazar und die phantasivollen Tanzeinlagen von Cécile Roussat wie auf Flügeln durch die drei Akte. Solch perfektes, dabei unangestrengtes Teamwork ist selten. Das Stück scheint sich wie von selbst zu inszenieren (wie viel harte Arbeit jedoch selbst in den kleinsten Details steckt, kann man anhand der Probenausschnitte sehen!). So balanciert die Produktion höchst unterhaltsam auf dem schmalen Grat von Drastik und Stilisierung, von Traumspiel und Groteske. Fazit: Königlich!

Einziges Manko: Das Schlussballett hat leider keine Untertitel und die Einzeltracks werden in den Untermenüs nur unvollständig angezeigt, im Booklet fehlen sie ganz. Da hilft nur zappen.



Georg Henkel



Besetzung

Vincent Dumestre & Le Poème Harmonique: Musik und Gesang
Benjamin Lazar: Regie
Cécile Roussat: Tanzeinlagen




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