Musik an sich www.midifiles.de

Reviews


Inhalt
News
Reviews
Leserbriefe
Impressum



Musik an sich
 
Morton Feldman (1926-1987): The Rothko Chapel (1971)
Bereits erschienen (Hänssler Klassik)
Klassik 20. Jahrhundert
 

For Stephan Wolpe (1986) - Christian Wolff in Cambridge (1963) / SWR Vokalensemble - Rupert Huber / Hänssler Classic DDD 1999/2000

Der amerikanische Komponist Morton Feldman war ein ausgewiesener Sammler seltener Knüpfteppiche aus dem Nahen und Mittleren Osten. Sein Interesse galt vor allem solchen Exemplaren, bei denen die Muster nicht in vollkommener Symmetrie und Geschlossenheit durchgehalten werden, sondern ‚spontane' Irregularitäten aufweisen. Und dies nicht wegen eines mangelnden Vermögens ihrer Schöpfer, einen ordentlichen Teppich zu knüpfen, sondern weil sie einem eigenen ästhetischen Prinzip folgen.

"Musik und Dessin bzw. das sich regelmäßig wiederholende Muster eines Teppichs haben viel miteinander gemein", so der Komponist. Mit seiner Musik tritt Feldman den hörbaren Beweis an: Die Klangereignisse formieren sich hier zu langen Reihen von ‚Patterns', zu immer wieder neu arrangierten und variierten Muster-Kombinationen. Eine subtile Orchestrierung der instrumentalen Klangfarben und Tonhöhen sowie die fließenden Rhythmisierungen lassen die ‚Gestalten', ‚Objekte' oder ‚Ornamente' in immer neuen mikrochromatischen Schattierungen aufleuchten, wie bei einem Kaleidoskop. Da die Muster in sich ‚vollständig' sind, gibt es keine immanente ‚logische' Entwicklung, wie sie ansonsten für die europäische Musik charakteristisch ist. Feldman erweitert seine Patterns durch Addition, Tausch, Verschiebung - oder, um im Bild zu bleiben: durch flexible Anknüpfung - zu häufig sehr umfangreichen Teppichen aus Musik, die allerdings nicht wie Vorbilder mit dem Augen auf einen Blick, sondern sukzessive den mit dem Ohr "erhört" werden müssen.

Dies kann z. B. bei seinem alle Maßstäbe sprengenden zweiten Streichquartett, wohl überhaupt dem längsten Stück der Musikgeschichte, gut fünf pausenlose Stunden in Anspruch nehmen! Mögen die Pattern sich dabei auch zu einzelnen Abschnitten und größeren ‚Formteilen' fügen: Das fertige Werkstück bildet ein einziges großes Ganzes, es ist nicht teilbar.

Die niedrigen dynamischen Werte - Feldmans Musik bewegt sich nahezu ausschließlich im Pianissimo- und Piano-Bereich! - und die filigrane Textur bei meist kammermusikalischer Besetzung verleihen der Musik einen eigentümlich ‚flachen' Charakter. Sie dehnt sich sozusagen nur in der Ebene aus - wie die von Feldman gesammelten Teppiche. Oder auch die Bilder seiner Künstlerfreunde, vor allem der amerikanischen Expressionisten, deren Werk sein musikalisches Denken ebenfalls stark beeinflußt hat.

Für die Eröffnung eines Meditationsraumes in Houston, Texas, den der Maler Mark Rothko mit vierzehn großformatigen Tafeln ausgestattet hatte, komponierte Feldman "Rothko Chapel". Das Werk ist mit Chor, zwei Solostimmen, Viola, Celesta und Schlagzeug besetzt. Die vom Chor gesummten Akkorde bilden dabei gewissermaßen das flexible ‚Grundgewebe', in das zarte Schlagzeug- und Celestafiguren sowie melodische ‚Objekte' von Viola und Solostimmen eingeflochten sind. Dieses klangliche Patchwork ist von größter Zartheit und kühler Poesie. Es verharrt gewissermaßen auf der Schwelle zur Stille, ohne sich in akustische Nebelschwaden aufzulösen. Vielmehr ist verblüffend, wie es Feldman gelingt, sein Werk über 20 Minuten ‚in Gang' zu halten und ihm bei aller Zurückhaltung innere Spannung zu verleihen.

Ähnlich besetzt, dabei aber eher noch verhaltener - man könnte auch sagen: sparsamer ornamentalisiert - sind die beiden anderen Stücke: "For Stephan Wolpe", das Feldmans wichtigstem Kompositionslehrer gewidmet ist, und das kurze "Christian Wolff in Cambridge", dessen Titel sich auf einen befreundeten Musiker-Kollegen bezieht.

Alle drei Kompositionen, die sich in ihrer stillen Askese äußerer Virtuosität und jedwedem Effekt verweigern, erfahren durch das SWR Vokalensemble und die beteiligten Instrumentalisten unter der konzentrierten Leitung von Rupert Huber eine vorbildliche Interpretation. Die Musiker bringen die sparsame, dabei komplexe Notation zum Atmen - ganz so, wie es der Intention des Komponisten entsprechen dürfte. Vom Hörer verlangt diese Musik ebenfalls höchste Konzentration. Ansonsten wird sie, nicht zuletzt wegen ihrer durchaus harmonischen Balance und ‚Schönheit', entweder schnell banal oder nur noch dekorativ, zum reinen Ambiente-Sound.

Für Neugierige.

15 von 20 Punkte

Georg Henkel

 

Inhalt | Impressum | News | Reviews | Leserbriefe
zur Homepage | eMail Abo bestellen | Download aktuelle Ausgabe