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Artikel

Hans Joachim Irmler über FAUST - … einfach zeitgenössische Musik

Info

Gesprächspartner: Faust (Hans Joachim Irmler - geführt von Manfred Heinfeldner)

Zeit: Juli 2010

Ort: Scheer

Interview: Face 2 Face

Stil: Krautrock, Avantgarde

Internet:
http://faust-pages.com
http://www.myspace.com/faustpages

In einem anderen Artikel haben wir bereits kurz die Geschichte der legendären Klang-Avantgardisten FAUST Revue passieren lassen und einige frühere und aktuelle Veröffentlichungen der Band besprochen. In diesem Rahmen wurde Keyboarder Hans Joachim von MAS gebeten ein paar Kommentare zur Bandgeschichte abzugeben. Was eigentlich nur eine kleine Fragerei per Email sein sollte, entwickelte sich etwas unerwartet in eine andere Richtung. Mit den gesandten Fragen als Grundlage, zog Irmler Manfred Heinfeldner (Journalist und Mitarbeiter des SWR) hinzu und gab ihm voller Begeisterung ein Interview, welches er uns großzügigerweise komplett zur Verfügung stellte. Eine tolle Geste! Hier also nun der Kern des umfangreichen Gesprächs, welchen wir aufgrund des interessanten Inhalts gerne unkommentiert lassen.


Ich weiß nicht wie weit, aber fühlt ihr euch als Avantgarde?

Ob sich Gustav Mahler als Avantgardist fühlte? Ich glaube nicht.

Aber ich glaube, dass er zumindest wusste, dass er irgendwie was macht, was nicht jedem gefällt, aber es hat ihn trotzdem zu einer Art Popstar gemacht. Es ist immer eine Frage was Leute unter Avantgarde verstehen. Ihr habt selbst schon mitgekriegt, dass ihr was macht, was Leute nicht verstehen und das man nicht als Mainstream bezeichnen kann. Also aus heutiger Sicht würde ich so etwas wie euch in dieser Hinsicht als Avantgarde bezeichnen, in der Form, dass ihr Sachen ausprobiert habt, die letztendlich viele noch nicht mal angedacht hatten.

Das stimmt.

Und ihr kommt natürlich schon aus so einem Kunstbegriff. Da habt ihr euch ja bewusst keine Gedanken gemacht wie „wir wollen eine Popband werden die Erfolg hat, auf Teufel komm raus“.

Wir wollten natürlich einen Erfolg. Wir waren ein bisschen verblüfft, dass wir von der ersten Platte auch nur 20.000 Stück verkauft haben. Wir haben gedacht, „naja, wir sind auch ein bisschen der Zeit voraus“. Dann haben wir die zweite Platte gemacht und die ist eigentlich so gedacht gewesen, dass es eine Popplatte ist. Und die war auch noch, sagen wir zwei Jahre, der Zeit voraus.

Aber ihr hattet jetzt nie den Musikhochschulen-Hintergrund wie Kraftwerk zum Beispiel?

Nein, überhaupt nicht.

Wo entstand das dann bei euch?

Rudolf Sonsa (Gitarre/Keyboard) und ich haben eine normale Musikausbildung genossen, wie man so schön sagt. Aber halt keine Hochschulausbildung. Jean-Herve Péron (Bass) ist eigentlich von der Straße gekommen, also ein Straßenmusiker. Und dann hatten wir einen Autodidakten, den Schlagzeuger Werner Diermaier. Arnulf Meifert (Schlagzeug) hat schon davor Musik in einer Band gemacht. Er war Jazzer. Gunter Wüsthoff (Synthesizer/Saxophon) war auch Autodidakt. Aber wie das zusammenkam: Wir hatten einfach unsere Vorlieben und auch unsere Hassobjekte in einen Topf geschmissen und solange daran rumgesägt und eingefärbt, bis das eben dabei raus gekommen ist.

Wenn man heute zurück schaut, könnte man denken die deutsche Musikszene war damals voller neuer experimenteller und kreativer Bands. Fühltet ihr euch in so einer Art Biotop in dem um euch herum Leute waren die Ähnliches versuchten?

Es gab sicherlich ein paar. Aber im Verhältnis waren da hundert Bands in Hamburg und Umfeld, davon gab es vielleicht drei, die das Popklischee in Frage gestellt haben. Also so fruchtbar war die Zeit dann auch nicht. Und von diesen drei hat eine gleich aufgegeben und die andere Band hat vielleicht nach zwei Jahren aufgegeben. So waren die Tatsachen.

Das Popklischee aufzugeben war also euer Ziel?

Aus verschiedenen Gründen. Es gab die „zu gute Musik“ zum einen. Warum sollte man das besser machen wollen oder gleich machen wollen und als Herausforderung sehen? Das ist doch völlig idiotisch. Aber das wird Musikern normalerweise eingetrichtert. „Das kannst du auch, das kannst du noch besser!“ Also diese Leistungsgesellschaftsgeschichten. Das haben wir natürlich alles nicht gewollt. Aber wir fanden eben, dass es Zeit war, dass man was Neues machen muss. Das ist komischerweise bis jetzt geblieben. Wir waren früher der Meinung, dass eigentlich jeder ein Künstler ist. Und das Klischee, dass da einer auf der Bühne, also auf ein Podium gestellt wird, und das ist dann alles was ihn ausmacht, dass er gleich etwas Besonderes ist, das war uns immer schon ein Dorn im Auge.

Wer ist eigentlich auf den Namen Faust gekommen?

Das weiß man nicht. Wir haben ganz verzweifelt nach einem Namen gesucht, der im Grunde mindestens zwei Bedeutungen enthält. Wie so eine Art Januskopf. Das ging von Protheus bis was weiß ich was. Das Gerücht geht bis heute noch, dass eines Morgens ein Zettel mit einem Messer an der Küchentür geheftet war, auf dem Faust stand.

Wenn Du sagst, das Gerücht geht bis heute: ihr könnte euch wohl nicht mehr so wirklich daran erinnern?

Ist ja auch kein Wunder!

Hängt es damit zusammen, dass, was ja manche Leute denken wenn sie eure Musik hören, besondere Substanzen eine Rolle gespielt haben, die damals Gang und Gebe waren?

Muss man schon sagen. Wir haben nicht nur den besagten englischen Schwarztee genossen. (lacht) Natürlich hat das damals in der Zeit eine Rolle gespielt.

Aber ganz bewusst so den Versuch, wie z.B. bei Amon Düül II, Trips zu schmeißen und dann erst Musik zu machen habt ihr nicht unternommen?

Also in dieser Form habe ich es nicht mehr in Erinnerung.

Ein Name der in eurer Bandgeschichte immer auftaucht ist Uwe Nettelbeck. Was hat er eigentlich im Kreativprozess für eine Rolle für euch gespielt?

Im Kreativprozess, hm... Ich will ihm ja nicht alles absprechen, denn ohne ihn wäre das alles gar nicht möglich gewesen. Er war Spinner genug, wie wir auch, um das umzusetzen, was wir uns da zusammen gesponnen haben. Eigentlich hat er diese Hirngespinste erst wirklich ermöglicht. Wenn wir gesagt haben, wir brauchen einen Toningenieur, hat er ihn aufgetrieben. Und als wir dann gesagt haben, der ist nicht gut, dann hat er noch einen gesucht. Das hat er innerhalb von einer Handbewegung hingekriegt.

Er war also euer Manager.

Im Grunde kann man das so sagen.


Und wie ist er über euch gestolpert?

Wir wollten mit der Bandgründung etwas Neues entwickeln. Wenn man was Neues entwickelt, muss man einen Ort dafür haben. Der Teil der Band in dem ich war, hatte einem Luftschutzbunker am Bahnhof in Hamburg für einen Apfel und ein Ei gemietet. Es war aber ganz klar, dass wir irgendwelche Produktionsmittel brauchen, um überhaupt anzufangen. Man braucht einen Raum, man braucht Aufnahmegeräte. Aber das Geld hatte von uns natürlich keiner. Ich hatte maximal 300 Mark im Monat zur Verfügung. Da war aber die Miete schon drin. Also war ganz klar, dass wir eigentlich einen Plattenvertrag bräuchten, so wie man das immer hört. Da kriegen die Bands ja immer 50.000 Mark oder sowas in der Richtung. Aber wir kannten keinen Mensch in der Plattenbranche. Also hat man rumgefragt und so sind wir dann tatsächlich auf Uwe Nettelbeck gestoßen. Der Uwe war damals Journalist. Er ist dann eines Tages gekommen und wir haben ihm unsere Märchenschlösser vorgeträumt. Dann ist Uwe losgegangen und hat sich umgehört. Er kam dann nach einiger Zeit wieder. Wir haben es uns eigentlich noch genauer überlegt. Eigentlich kommt da nur die Deutsche Grammophon in Frage, weil die die besten Platten machen. Wir waren schon absolute Technikfreaks. Nur das Beste kann es sein. Da blieb am Ende nur die Polydor als Tochterfirma der Grammophon übrig. Frag mich nicht wie, aber Uwe hat das dann irgendwie hingekriegt.

Er war dann nur der organisatorische Mentor? Es gab ja einige Jahre vorher den Fall mit den Monks, bei dem sich zwei Macher überlegt haben, wir machen eine Band und die muss soundso aussehen.

Nein, so war das nicht. Egal was man liest, wir wären die erste Boygroup von Polydor gewesen. Sie konnten so etwas machen, muss man mit Verlaub auch mal sagen. Sie hatten das bestimmt nicht im Sinn. Polydor war eine richtige Vermarktungsgesellschaft.

Was sich Leute heute kaum noch vorstellen können. Heute setzt man sich ins Wohnzimmer, nimmt seine Musik auf und vermarktet sie anschließend selbst. So etwas gab es damals überhaupt nicht. Man musste über eine Plattenfirma gehen.

Genau, extrem aufwändig. Überhaupt, was du damals für Gerätschaften brauchtest. Ich muss aber sagen, ich gewinne dieser Wohnzimmeridee nach wie vor nicht allzu viel ab. Ich finde, dass ein Raum einen auch stimuliert. So ein Studio ist auch so etwas wie eine kleine Kapelle. Mit 200 m² Fläche und 7 m Deckenhöhe bringt man auch eine ganz andere Denkweise rein. Solchen Wohnzimmerproduktionen hört man es teilweise an, dass ein bisschen an Raum und Vorstellung fehlt. Deswegen ist uns das damals nicht als negativ erschienen, sondern es war einfach ein Muss, ein eigenes Studio zu haben. Es war der konsequente nächste Schritt. Die 50.000 Mark die wir ursprünglich gedacht hatten, sind dann irgendwann 500.000 Mark geworden. (lacht) Es gibt wenig Bands, selbst bis zum heutigen Tag, die so etwas so konsequent durchgezogen haben. Ich glaube die Beach Boys haben so etwas Ähnliches gemacht. Wenn man so will, natürlich auch Can. In der knallharten Form gibt es aber sehr wenige.

Stichwort Plattenfirma: War da eine Plattenfirma am Hebel, als ihr dann 1972 letztendlich nach England gegangen seid?

Im Grunde hatten wir mit Polydor eine problematische Seite für uns in der Umsetzung entdeckt. Wir haben dann verschiedene Leute in England hinterfragt, denn aus England kam ein sehr großes Echo für die Band. Und so sind wir auf Einladung von Richard Branson nach England gegangen. Es gab Virgin damals schon, es war aber noch eine Merchandisingkette. Er wollte irgendwie eine Plattenfirma werden. Und so hat er uns unter Vertrag genommen. Er hat uns zugesagt, „ihr habt die gleichen Bedingungen wie in Wümme“ - was stimmte.

War das am Anfang nicht ein Widerspruch - erst wolltet ihr Popklischees hinterfragen und auflösen und dann geht ihr ins Mutterland des Pop und macht mit einem Typen Geschäfte, der mit Pop total erfolgreich war?

Es war kein Widerspruch. Wir wollten eigentlich nur Musik machen. Für uns war ganz klar, wenn man sich fortbewegen will, braucht man ein Vehikel. Entweder baut man es sich selber oder man kauft eines. In unserem Fall haben wir uns auf einen Deal mit jemanden eingelassen, der bereits ein solches Vehikel hat. Also das haben wir nie hinterfragt.

Und umgekehrt hat er sich aber auch nicht eingemischt?

Nein. Der hatte eh keine Ahnung von Musik. Wirklich nicht. Er hatte aber jemanden dafür, auf den er vertraut hat. Der hat die musikalische Ausrichtung von Virgin gemacht und Branson war der Kaufmann. Das ist er ja heute noch. Ein sehr guter Kaufmann.

Es gibt ja Leute die denken, das was ihr gemacht habt, ist sehr spontan und improvisativ und teilweise eher so eine Art zufälliger Betriebsunfall. Aber das habt ihr nie so gesehen. Ihr hattet eigentlich einen Masterplan im Kopf.

Ja. Aber frage mich nicht, wie er wirklich ist. Ich kann ihn nicht wirklich artikulieren. Wenn ich könnte, würde ich das machen und müsste keine Musik machen. Solange ich es nicht artikulieren kann, muss ich immer weiter Musik machen. Das ist natürlich schon eine Melange aus alten Sachen. Aber man hat eine Idee, die willst du umsetzen, aber dann hast du noch vier andere Leute um dich herum und wie willst du die bitte auf dieses Schiff drauf bringen? Also musst du denen das im Grunde erst einmal vormachen und am unauffälligsten kann man das tun, wenn man eine Session macht, um dann stückweise die Leute dafür zu begeistern. Danach, wenn das passiert ist, wenn sie infiziert sind, dann kannst du gezielt das herausarbeiten. Das sind alles wirklich Stücke gewesen, die wir vorher geprobt haben, die wir aber dann, wenn wir auf der Bühne sind, noch mal modifizieren. Das ist ein Teil des Spiels. Sonst ist es zu langweilig.

Ist da eine Grundidee im Kopf, die dann umgesetzt wird? Gibt es Momente auf der Bühne wo ihr dann sagt, o.k. jetzt kuck ich mal, was die anderen so treiben und ich greif dann spontan ein?

Wenn deiner Vorstellung noch was fehlt, kann man das ja jederzeit rein oder rausmachen. Das ist ja das Schöne wenn du mit einigermaßen guten Musikern musizieren darfst. Da bin ich mit den jetzigen Faust noch glücklicher. Hier geht es mehr um die Musik, als bei der ursprünglichen Formation, wo Steven und Lars zwar auch schon mitgespielt haben. Da ist eigentlich schon ein bisschen mehr so das Rabaukentum im Vordergrund gewesen. Das war weniger Musik wie es heute ist, sondern mehr so die Umsetzung von „ein Effekt jagt den anderen“, was natürlich spannend fürs Publikum ist. Wir sind dem Grundsatz treu geblieben, auch wenn sich mehrere Mitglieder ausgetauscht haben, dass wir uns im Grunde genommen auf uns selber konzentrieren. Also nicht so viele Fremdeinflüsse mit rein nehmen. Also schon in so einer natürlichen Konfrontation mit der Umwelt leben, aber nicht mit großem Effekt auf etwas stürzen. Es gibt ja auch Musiker die wissen ganz genau was auf der Welt musikalisch passiert. Da gehöre ich in der Form nicht dazu.

Spielt es überhaupt eine Rolle für Dich ob Deine Musik entweder als Rock oder als Jazz oder was auch immer deklariert wird?

Wenn jemand so unbedarft damit umgeht, das stört mich schon. Weil es ist tatsächlich, jetzt noch mehr als früher, einfach zeitgenössische Musik, sonst nix. Und in dieser Musik kann man eigentlich alles finden, was es gibt. Es sind immer wieder solche Widersprüche die ich äußere. Aber das ist so komplexe Musik, die wir jetzt machen. Da findest du ja in einer halben Minute alles drin. Und es wird immer wieder alles durch den Wolf gedreht. Deswegen gibt es ja auch kaum klassische Gitarrensoli.

Wie kam es überhaupt zu der Idee mit Deinem eigenen Klangbad-Festival?

Das erste war 2004. Es ist ursprünglich entstanden, weil ich unbedingt dieses Studio bauen wollte und ich nicht genügend Millionen in der Rückhand hatte. Ich bin dann auf die Idee gekommen, ich könnte eigentlich mal im Internet bei Faust-Fans nachfragen, ob sie nicht Bock hätten mit mir zusammen ein Studio zu bauen. Dann sind etwa 40 Leute aus aller Herren Länder gekommen und haben einen Sommer lang dieses Studio gebaut. Und dann haben wir gedacht, dass wir im nächsten Jahr eine Party machen, wenn das Studio fertig ist. Und das ist dann so gewissermaßen die Einweihungsfeier und der Dank. Das war dann gewissermaßen das erste Festival.


Dieses Klangbadstudio gilt in Insiderkreisen als Faust-Studio Süd. Was haben eigentlich die Nord-Faustler dazu gesagt? Generell, wie geht ihr damit um, dass ihr jetzt wieder die Situation habt, es gibt zwei Gruppen von Musikern, die auch eine Zeitlang zusammen gespielt haben?

Ich weiß es nicht. Am Anfang war es ein bisschen schockierend, dass Péron 1997 ausgestiegen ist. Und das 14 Tage vor einer Tournee. Wir hätten gar nicht das Geld gehabt uns da raus zu zahlen. Dann sind wir halt damit umgegangen. Es gab immer den Grundsatz, jeder von uns kann Faust sein. Aber es kann keine zwei Faust zur selben Zeit geben. Aber Pérson hat das glaube ich nicht mehr solange aushalten wollen. (lacht) Ich hab mir am Anfang auch gedacht, „so etwas Gemeines“. Aber je länger ich darüber nachgedacht habe, umso selbstverständlicher ist es auch, dass es eben zwei Bands mit dem gleichen Namen gibt, die auch tatsächlich beide im Grunde das Recht haben, sich so zu nennen.

Du hast gesagt, bei dem Klangbad-Festival hast Du einfach in Deinem Fankreis mal rumgefragt. Es gibt ja Leute, die behaupten ab Mitte der 70er war Faust eigentlich schon eine Geschichte. Warst Du nicht verblüfft, dass unter dem Stichwort Faust gleich so viele Leute kommen?

Doch das war verblüffend. Aber der verblüffende Moment war eigentlich schon 1990. Da hatten wir nicht mehr viel gemacht. Wir haben in Hamburg noch so kleine Partys inszeniert. Da kam plötzlich jemand auf uns zu und sagte „habt ihr nicht Lust bei mir zu spielen?“. Dann haben wir eben auf der Reeperbahn einen sehr schönen kleinen Raum gefunden. Die Prinzenbar hieß das Ding. Da haben wir eine kleine Show gemacht. Es war dann ein Engländer da und gleich ein paar Wochen später kam eine Einladung nach London. Da war mir klar, Faust ist nicht weg vom Fenster, es lebt. Nur irgendwo außerhalb meiner Wahrnehmung. In London hat man das dann sehr deutlich gesehen. Es war ausverkauft. Und der Schuppen war nicht wirklich klein. (lacht) Da waren wir natürlich überwältigt, dass sich das nach all den Jahren so verselbständigt und doch erhalten hat. Das fand ich rührend. Und es hat eigentlich auch bestätigt, was man einst als 20-jähriger dachte.

Was hat eigentlich Mitte der 70er dazu geführt, dass ihr gesagt habt, jetzt machen wir Pause?

Im Grunde genommen war eine Problematik in der Band entstanden. Wir waren sozusagen im Tourstress. Wenn du Songs machst, kannst du die runterspielen und dann ist das fertig. Aber wenn man Musik auf die Art und Weise macht wie Faust, geht das einfach nicht. Da brennst du irgendwann im Grunde aus und das war im Endeffekt auch die Situation 1974/75. Der Branson wollte uns gar auf eine Amerikatournee schicken. Man muss natürlich schon dazusagen, ich bin von Anbeginn nie ein Freund vom Touren gewesen. Ich wollte eigentlich nur Musik machen. Und Schallplatten natürlich. Aber auf keinen Fall Touren.

Für Péron und Diermeier waren Texte ziemlich wichtig. Für dich irgendwie nicht so.

Gar nicht.

War das auch so ein Grund, wo es musikalisch auseinander ging?

Ich fand die Textbeiträge in der Regel eigentlich immer erfrischend.

Aber selber kommst du nicht auf die Idee viel mit Texten oder Gesang zu arbeiten?

Nein. Aber doch, ich singe schon. Ich singe relativ viel auf der Bühne. Aber das kann man nicht als Gesang hören. Das ist Teil von diesen Sounds, die man da hört. Ich habe immer ein Mikrophon. Bloß ich sage in der Regel sehr selten Worte die man verstehen kann.

Aber du kommunizierst ja, wenn du Musik machst. Hast Du eine Vorstellung mit was für Leuten du da kommunizieren willst oder ist das genau das Publikum das halt da vor Dir steht?

Ja, natürlich. Das ist ja gekommen und das ist schon Ehre genug in dem Sinne. Und es ist da auch ein Teil des Raumes in dem du auftrittst. Und das gehört alles zusammen. Das ist schon ganz wichtig.

Ihr habt am Anfang im Bunker Musik gemacht, also den Bunkersound. Jetzt seid ihr auf der Wiese, sozusagen.

Ja, das macht schon sehr viel aus.

Wird Musik da auch ruhiger für Dich? Also kommen da auch ganz andere Klänge, weil auch Natur um Dich herum ist?

Ich denke schon, dass das was damit zu tun hat. Wie ich schon vorher gesagt habe, wenn du einen schönen Raum hast, eine schöne Umgebung, wirst du andere Musik machen, als wenn du auf einer Kreuzung stehst.

Du hast auch schon mal erwähnt, dass Du eigentlich nicht mehr soviel Interesse hast die alten Faust-Stücke immer wieder zu wiederholen. Es gab ja vor kurzem ein Album Faust is last. Ist das quasi Dein musikalisches Vermächtnis, siehst Du das so?

Ja, deswegen heißt ja auch die eine Seite A und die andere heißt Z. (lacht) Also ein kleiner Scherz muss schon sein.

Geht da eine lange Arbeit am Schreibtisch oder am Keyboard voraus oder wie funktioniert das?

Also eigentlich denke ich die ganze Zeit darüber nach. Es ist schon so, dass ich Fragmente erstelle und die liegen dann quasi in der Kopfschublade und dann auch real auf Bandmaschinen oder Computer. Und dann fängt die eigentliche Arbeit an. Nämlich, was stelle ich mir vor, wie soll so ein Album aussehen, was kann das leisten, was muss es leisten? In unserem Fall ist dies das Anstrengendste, in möglichst wenige Fettnäpfchen zu treten. Mir ging es jetzt darum, die ganzen Musikklischees mal wieder durch den Kakao zu ziehen und gleichermaßen zu würdigen. Das hat eben relativ lange gedauert. Von 2006 bis dieses Jahr. Eine schwierige Geburt.

Wenn Du jetzt mal zurückblickst wie ihr früher produziert habt. Spielen die veränderten technischen Möglichkeiten die man heute hat eine positive Rolle für Dich?

Das Schneiden ist wahnsinnig leichter geworden. Auf welchem Band war das noch mal? Dann bist Du irgendwo hin gegangen und hast so ein schweres Band geholt und hin und her gespult, weil du natürlich nicht aufgeschrieben hast, an welcher Stelle das und das ist. Das ist heute natürlich traumhaft. Aber ich bin trotzdem immer noch sehr der alten Arbeitstechnik verhaftet. Die Lust an komischen Dingen ist natürlich geblieben. Heute kann man einen Loop natürlich ganz anders machen als wir damals. Deswegen freuen mich die Loops nicht mehr so wie früher. Früher hat man so einen Loop auf einem Schnürsenkel gehabt. Der ist aus der Regie raus, ist in den Vorraum, ins eigentliche Studio rein und wieder zurück. So lang war der. (lacht)


Nach welchen Kriterien hast Du eigentlich die Stücke auf den beiden Teilen von Faust is last zusammengestellt, was kam auf A und was auf Z?

Die Z-Seite von dem Album benutzt zum großen Teil dieselben grundlegenden Strukturen, die wir auf der A-Seite ebenfalls haben. Aber da sie mit anderen Dingen kombiniert wurden, klingt es einfach ganz anders. Uns war klar, wir wollen so 'nen Fluss haben. Wir müssen aber auch irgendwas haben, wo eine Unterbrechung drin ist. Weil Fluss braucht einen Gegenpol und das kann bloß eine Unterbrechung sein. (lacht) Ziemlich primitiv gedacht. Und dann ist eben die A-Seite entstanden. Jede Band würde hingehen und das beste Stück nach vorne stellen, wo es kracht. Und das Prinzip wollte ich auf gar keinen Fall. Zumal ich auch kein Stück finde, was besser oder schlechter ist, sondern es dient einfach einem bestimmten Zweck. Und da geht’s halt darum, dass man relativ leise und ruhig anfängt und sogar undefiniert. „Brumm und Blech“ ist eigentlich ein Unstück, wenn man so will, und endet mit dem größtmöglichem Krach, den man machen kann, auf so einer Platte. Nämlich alle Stücke auf einmal. Das sind diese 15 oder 30 Sekunden die da kommen. Das ist eigentlich das ganze Konzept.

Das führt aber auch dazu, dass manche Leute nicht wissen, wie ist das Album jetzt? Die sagen dann immer den schönen Begriff zeitlos. Also nicht retro, aber auch nicht Avantgarde. Ist das überhaupt etwas, das in Deinem Kopf vorgeht, so eine eigene musikalische Insel und ich mache Musik, die sich letztendlich jeder Einordnung widersetzt?

Ja, ein bisschen muss ich zugeben, bin ich so eitel.

Warum findest Du das eitel?

Sich selber so einzigartig finden ist halt etwas. Man ist tatsächlich einzigartig, da braucht man gar nix machen. (lacht) Dass man eben darüber hinaus noch etwas macht, das finde ich ein bisschen eitel, aber nur ein bisschen. Aber das ist ein gutes Recht. Ja, ich denke schon, dass ich das immer will. Ich will gerne etwas machen was lange vorhält. Und ich glaube auch, das ist gelungen. Die meisten Alben die wir bislang gemacht haben sind keine Eintagsfliegen geworden, sondern man kann sie immer wieder hören. Man kann immer wieder neue Dinge darin entdecken. Und wenn man bedenkt, dass so ein Album ein Kaufprodukt ist, finde ich das eigentlich eine korrekte Sache.

Zum Schluss noch: Was hat sich Hans Joachim Irmler in Sachen Musik noch vorgenommen?

Ich bin schon seit Jahren an einem Projekt dran. Ursprünglich war „Drums & Elektronik“ der Arbeitstitel. Das hat sich mittlerweile etwas verselbständigt und ist nicht mehr unbedingt nur Drums oder so. Wir haben ein tolles Projekt mit FM Einheit. Wir haben auch ein Album auf den Markt gebracht und werden zusammen auftreten. Dann lerne ich peau a peau Künstler von früher kennen, mit denen ich gerne jetzt was machen will. Mit Jaki Liebezeit von Can beispielsweise - oder den beiden Herren von Cluster. Wir haben ein sehr schönes Projekt hier im Fauststudio laufen. Das heißt Spielwiese. Es waren z.B. FM Einheit und Katie Yong, eine wunderbare Fagottbläserin aus New York, und Ute-Marie Paul dabei. Also es gibt noch vieles Schönes. Ich würde natürlich zu gerne wieder was mit Taste Tribes machen. Also ich fürchte mich nicht so direkt vor der Zukunft.


Mario Karl


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