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Artikel

DRITTE WAHL - 20 Jahre Punkrock und kein bisschen leise

Info

Gesprächspartner: Gunnar Schröder (Dritte Wahl)

Stil: Punkrock

Internet:
http://www.dritte-wahl.de
http://www.myspace.com/drittewahlrostock

Mit Kinder, wie die Zeit vergeht (20 Jahre Dritte Wahl) veröffentlichten die Rostocker Punkrocker DRITTE WAHL vor kurzem eine Doppel-DVD um 20 Jahre Bandgeschichte zu feiern. Neben dem 2008 statt gefundenen eineinhalbstündigen Jubiläumskonzert sind noch 130 Minuten historische Aufnahmen des Trios aus den Jahren 1991 - 2007 enthalten. Überwiegend handelt es sich hierbei um Konzertaufzeichnungen aus verschiedenen Clubs, welche sich über die Jahre angesammelt haben. Dazu kommen noch einige Interviewschnipsel, Backstageimpressionen, sowie verschiedene weitere Clips. Die Vollbedienung DRITTE WAHL für jeden Fan also. Die Bild- und Tonqualität ist hier verständlicherweise nicht immer HD-Standard, dafür überwiegt der dokumentarische Charakter. Schließlich wird hier der Aufstieg von einer unbedeutenden und urwüchsigen Newcomerband bis zur Topband im Punkunderground dargestellt.
20 Jahre, das ist ein langer Zeitraum in dem so einiges passiert ist. Nicht nur im allgemeinen Weltgeschehen, sondern auch bei den Metalpunks DRITTE WAHL ganz persönlich. Grund genug einmal Sänger und Gitarrist Gunnar Schröder etwas auf den Zahn zu fühlen und ihn zu ein paar Wegpunkten, sowie zur DVD zu befragen. Hier unser Interview mit ihm:






20 Jahre Dritte Wahl. Da gibt es sicherlich einiges zu erzählen. Was siehst Du als absolute Höhe- und Tiefpunkte eurer Karriere?

Den Tiefpunkt kann man leicht benennen, das war natürlich die Krebserkrankung von unserem Bassisten Busch’n, der vor vier Jahren dann letztlich auch daran gestorben ist. Höhepunkte gab es viele. Der Support für die Toten Hosen, oder die Europatourneen mit The Exploited gehören sicherlich dazu.

Im Gegensatz zu manch andere deutschen Punkband haben Dritte Wahl eine etwas metallische Schlagseite und Härte. Das lässt vermuten, dass eure Wurzeln nicht nur im typischen Drei-Akkorde-Sound liegen. Welche Bands waren früher für euch wichtig, bzw. haben euch in jungen Jahren beeinflusst?

Wir kommen alle mehr oder weniger vom Metal oder Rock´n´Roll. Ich bin mit AC/DC, Iron Maiden, Accept, Saxon, Judas Priest, Rose Tattoo usw. groß geworden. Irgendwann habe ich dann mal im Radio ein paar Songs von den Toten Hosen gehört und begann mich für Punkrock zu interessieren.

Ihr habt euch in einer Zeit gegründet als die DDR noch bestand. Es war durch Dinge wie der Notwendigkeit von Auftrittsgenehmigungen und ähnlichem für Bands sicher nicht einfach. Hattet ihr anfangs irgendwelche Probleme von staatlicher Seite oder habt ihr euch irgendwie so durchgemogelt?

Wir hatten nie Stress mit der Stasi oder ähnlichem. Wahrscheinlich waren die Damen und Herren zu der Zeit als wir anfingen schon mit anderen Dingen beschäftigt. Wir haben ja im Oktober 1988 zum ersten Mal gespielt und da „brannte“ im Osten schon alles. Insofern hatten wir Glück.

Warum gerade Punk? Gab es damals im Osten so etwas wie eine Punkszene? Ich war selbst 1988 in Rostock zu Besuch und im Gegensatz zu westlichen Städten gehörten Leute mit bunt gefärbten Haaren und zerrissenen Klamotten nicht gerade zum Stadtbild.

In anderen Städten Ostdeutschlands gab es schon einen Punkszene. Leipzig, Dresden und natürlich Berlin. Es gab auch viele Bands, und teilweise wurden sie sogar im Radio gespielt und haben Platten veröffentlicht. Der Staat hat wohl irgendwann eingesehen, dass man diese Leute nicht alle wegschweigen oder wegsperren kann und hat die Flucht nach vorn ergriffen. Unter dem Mantel „Die Anderen Bands“ gab es diverse Veröffentlichungen. Teilweise auch sehr schräges Zeug. Bei uns ist das mit dem Punkrock einfach so passiert. Ich habe damals angefangen deutsche Texte zu schreiben und die Songs dazu wurden irgendwie immer punkiger.

War es von Anfang an klar, dass ihr eure Lieder auf Deutsch singen werdet? Einheimische Bands wie Normahl, Slime oder auch die Toten Hosen bewiesen, genauso wie Ton, Steine, Scherben, bereits vorher, dass Punk, linke Einstellung und deutsche Texte bestens zusammen passen können.

Ja, genau diese Bands waren meine Vorbilder. Dazu kam, dass mein Englisch miserabel war und ich so keine Texte schreiben konnte. Ich finde es für uns auch wichtig, dass uns die Leute verstehen. Wir haben was zu sagen, oder erzählen in unseren Songs kleine Geschichten und die würden sonst wohl eher untergehen. Ich glaube ein Großteil der Hörer achtet bei englischsprachigen Songs nicht so besonders auf die Texte. Sobald man hier aber deutsch singt versteht das jeder automatisch und die Inhalte werden wichtig.

In den späten 80er/frühen 90er Jahren war auch die Funpunkwelle mit lockeren Texten ziemlich groß. Ihr dagegen packt vor allem ernste und politische Themen an. Seit ihr nie der Versuchung erlegen einfach nur übers Saufen und Mädchen zu singen?

Wir haben ja auch ein paar lustige Stücke übers Trinken und Rauchen. Diese ganze Fick- und Extremsaufschiene lag mir aber noch nie. Ich will so etwas nicht hören, geschweige denn singen müssen. Wenn ich ganz ehrlich bin liegen mir die ernsten Themen mehr. Es ist unheimlich schwer einen lustigen Text zu machen der hinterher nicht platt oder prollig wirkt.

Welchen Stellenwert haben die Texte im Allgemeinen für euch - eine Möglichkeit die eigenen Ansichten auszudrücken oder doch eher Beiwerk, wenn auch gut ausgearbeitet?

Es gab Zeiten da wurden wir von vielen Leuten auf das Politische und Inhaltliche reduziert. Da war die Musik fast Nebensache. Heute finde ich, dass beides stimmen muss, wenn der Song gut sein soll. Wenn man deutsch singt hört halt jeder hin. Gerade auf Konzerten steht dann aber doch der Beat im Vordergrund.

1998 habt ihr euer eigenes Label Rausch Records (später Dritte Wahl Records) ins Leben gerufen. Dies geschah zu einer Zeit als eure Popularität ziemlich anstieg. Was hat euch dazu veranlasst und seit ihr weiterhin glücklich mit dieser Entscheidung?

Letzten Endes geht es ja irgendwie immer ums Geld. Die ersten drei Scheiben sind bei Amöbenklang erschienen, die uns mit einem ganz beschissenen Vertrag anständig übers Ohr gehauen haben. Deshalb haben wir damals überlegt was wir tun können. Wir hatten einige ganz gute Angebote, waren ja mit der Nimm drei (unserer dritten Scheibe) recht erfolgreich. Heute sind wir aber heilfroh, dass wir uns damals getraut haben unsere Belange selbst in die Hand zu nehmen.

Mittlerweile veröffentlichen auch ein paar andere Bands über Dritte Wahl Records. Hattet ihr das von Anfang an im Sinn oder leistet ihr damit befreundeten Gruppen mehr oder weniger einen Freundschaftsdienst?

Früher war das mal unser Plan, ein funktionierendes Label aufzubauen. Vielleicht sogar für später, für Zeiten wenn wir nicht mehr selbst Musik machen. Heute ist alles anders. Mit Schallplatten und CDs erarbeiten sich die Bands ja nur noch eine Existenzberechtigung. Geld kann man damit nicht mehr verdienen. Meist kommen da nicht mal die Kosten fürs Studio wieder rein. Aber die Leute merken, dass man noch Ideen hat und kommen zu den Konzerten um sich die neuen Songs auch mal live anzuhören. Wenn wir heute einen andere Band veröffentlichen, dann immer nur aus Freundschaft.

Ist Dritte Wahl, Band und Label zusammen, mittlerweile ein Unternehmen von dem man leben kann oder seit ihr noch immer auf andere Jobs angewiesen?

Seit einiger Zeit leben wir alle von der Musik. Wir sind dabei völlig autark, buchen unsere Konzerte selbst, produzieren alle unsere Veröffentlichungen allein und unser Merchandise machen wir auch selbst. Wenn man die elendig langen Fahrten (wenn man aus Rostock kommt muss man immer viel fahren) dazu zählt, dann kommen wir mit einer 40 Stunden Woche nicht hin. Aber das ist okay, wir machen unser Ding und keiner kann uns da reinreden.

Diskografie

Fasching in Bonn (1992)
Auge um Auge (1992)
6 Track Split (EP, 1995)
Nimm drei (1996)
Strahlen (1998)
Hallo Erde (Single, 1998)
Delikat - 11jahrebühnenjubiläum 88-99 (1999)
Und jetzt? (EP, 2001)
Halt mich fest (2001)
Roggen Roll (Live, 2002)
Meer Roggen Roll (Live, 2003)
Tooth for Tooth (2004)
Fortschritt (2005)
Drei Live (DVD, 2006)
Singles (2007)
20 Jahre Dritte Wahl (DVD, 2008)
2004 habt ihr mit Tooth for tooth ein Album mit ins Englische übersetzten Songs herausgebracht. Habt ihr damit auf den internationalen Markt geschielt und hat euch dieser Schritt dort weiter gebracht?

Nein, da ist nicht viel passiert. Das lag aber auch an vielen Faktoren. Kurz nachdem die Platte fertig war, wurde Busch’n krank und wir haben lange Zeit nicht live gespielt. Geplant waren an sich Tourneen im Ausland. Nachdem wir dann mit der neuen Besetzung wieder angefangen haben, ist dieser Plan irgendwie untergegangen und wir haben den Schritt ins Ausland nie wieder richtig angegangen. Die Europatouren mit The Exploited waren zwar schon toll, aber wenn man ganz ehrlich ist, so haben die Leute doch oft auf den Headliner gewartet und wir sind in Italien, Frankreich oder Spanien nicht gleich in die Charts gekommen. So ein Support ist mitunter schon eine harte Sache. Mittlerweile spielen wir aber auch regelmäßig in Polen. Da singen wir aber meistens deutsch.

2005 traf euch das Schicksal mit dem Tod von Bandkollege und Gründungsmitglied Busch’n ziemlich hart. Ihr habt allerdings ohne großes Aufsehen weiter gemacht. Habt ihr nicht nur eine Sekunde daran gedacht die Brocken hinzuschmeißen?

Nicht wirklich. Es war eigentlich immer klar, dass wir weitermachen. Wir haben das damals sogar mit Busch’n besprochen. Er hat uns auf einer Probe mal gefragt was wir denn machen würden, wenn das mit ihm schief geht. Soweit wollte ich gar nicht denken, aber Busch’n ist sehr offensiv mit seiner Krankheit umgegangen. Letztlich wusste er sogar wer unser Wunschkandidat für den Posten am Bass wäre. Das war Stefan und wir sind froh, dass er bei uns ist!

Dann stellte sich die Frage wohl nicht lange, als ihr Stefan, der vorher bei den Crushing Caspars spielte, im April 2005 zu seinem Nachfolger auserkoren habt.

Stefan war schon lange Zeit ein Freund von uns und ist öfters als Lichtmann mitgefahren. Als wir ihn dann fragten, ob er bei uns einsteigen will hat er sich nicht lange gewehrt. Bei den Crushing Caspars hat er aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gespielt. Das war unser Glück. Wir hätten nicht versucht ihn abzuwerben.

Auf Kinder, wie die Zeit vergeht habt ihr zahlreiche schon fast historische Videoaufnahmen a gepackt. Habt ihr die Aufnahmen, gerade die älteren, jahrelang gehortet oder euch erst jetzt auf die Suche danach gemacht?

Wir haben stapelweise Zeug zuhause. In 20 Jahren und bei fast 1.000 Konzerten kommt einiges zusammen. Einige Aufnahmen bekamen wir aber auch erst zugeschickt oder zugesteckt, als sich rumsprach, dass wir an einer Jubiläums-DVD basteln.

Besonders interessant fand ich davon den improvisierten Auftritt mitten in der Menge auf dem Force Attack Festival 2005. Wie kam es denn zu dieser Aktion?

Wir dachten das wäre mal was anderes. War es dann auch! Da hüpften plötzlich nachmittags um 14:00 Uhr ein paar tausend Punks auf dem Rasen und wir standen da mittendrin. Das war schon cool und die Leute haben trotzdem aufgepasst, dass keiner zu Schaden kommt. Leider haben wir (wie auch von anderen Anlässen) zu wenige Bilder davon. Man hätte das mit drei/vier Kameras filmen sollen. Das ist uns aber erst bei der Arbeit zu dieser DVD aufgefallen. Wie sooft - zu spät!

Auf der zweiten DVD ist euer Auftritt vom Force Attack 2008, der ganz unter dem Motto „20 Jahre Dritte Wahl“ stand. Welche Erinnerungen habt ihr an diesen Tag? Aufgrund eures Jubiläums war es sicher etwas Besonderes.

Wir waren alle furchtbar aufgeregt. Erst mal stehen wir ja nicht sooft vor 15.000 Leuten. Dann hatten wir eine Menge Gäste und nur den Nachmittag davor Zeit mit denen zu Proben. Ich bin echt froh, dass das alles so gut geklappt hat. Ich denke das war ein würdiges Geburtstagskonzert und die Bilder auf der DVD fangen das auch recht gut ein.

Für das Konzert habt ihr von euren Fans die 20 beliebtesten Songs wählen lassen. Doch welche eurer Songs magst Du selbst am liebsten und spielst sie auch live immer recht gerne? Gibt es ein paar Nummern die auch nach all den Jahren etwas Spezielles für Dich ausdrücken oder emotional bedeutend sind?

Mir sind so Songs wie „Irgendwann“, „Kein Wort“ oder auch „Lust“ und „Bad K.“ wichtig. „Auge um Auge“ und „Greif ein“ dürfen aber live natürlich auch nicht fehlen. Der Song mit dem größten Gefühl ist sicherlich „Auf der Flucht“, mein persönliches Abschiedslied für Busch’n.

Was bringt die Zukunft für Dritte Wahl - weitere 20 Jahre Lärm?

Wenn uns die Leute noch so lange hören wollen, kann ich für nichts garantieren! Wir arbeiten zur Zeit an neuen Songs und fühlen uns noch nicht dem Punkrock-Ruhestand nahe. Solange wir selbst noch Lust haben loszufahren und sich noch Musikinteressierte zu unseren Konzerten trauen, machen wir weiter. Das ist durchaus als Drohung zu verstehen! Ob wir aber noch mal die 20 vollmachen ...?

Mario Karl


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