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25 Years after - Mein Leben mit der CD; Folge 63: Kenny Loggins - High Adventure

In den USA ist Kenny Loggins ein Superstar, in Europa eher eine Fußnote. Das kann man an den Chartlisten im Wikipedia Artikel sehr deutlich erkennen. Bei den Alben werden gleich nur die us-amerikanischen Platzierungen angegeben.

Bei den Singles sind bei fast jedem Titel (hohe) amerikanische Platzierungen zu verzeichnen. In Europa sieht das ganz anders aus. Nur zwei Titel sind hier in den Charts verzeichnet – beides Soundtrackbeiträge. „Danger Zone“ vom Top Gun-Soundtrack platzierte sich mäßig. Der Song, der in Europa für Kenny Loggins steht, ist die Nummer „Footloose“ vom gleichnamigen Soundtrack.

Für mich selber war der amerikanische Superstar subjektiv eigentlich immer ein One Hit Wonder. In den Jahren, in denen ich mich Anfang bis Mitte der 80er viel in Rock-Discotheken, oder auf Gemeinde-, UNI- und Fachschaftsfeten (gelegentlich selber als DJ) rum getrieben habe, war die fantastische Rock-Hymne „Heartlight vom 82er Album High Adventure die Nummer, die ich mit Kenny Loggins verband. Im Juni 1991 habe ich das gute Teil als edle Japan-CD im Steglitzer Second Hand Laden Frisby verhaftet. Für mich damals, wie heute, kein Album von großer Bedeutung, sondern etwas, dass man gelegentlich mal als Schnäppchen schießt.

Der CD-Titel gibt mir aber das Stichwort, um von einem interessanten Erlebnis aus jenem Monat zu berichten. Im Wintersemester 90/91 hatte es an der Kirchlichen Hochschule in Zehlendorf aus Protest gegen die BAFöG-Kürzungen einen Uni-Streik mit Vorlesungsblockade gegeben. Es wurden von Studentengruppen inoffizielle Alternativ-Seminare abgehalten. Nur zwei Professoren, soweit ich mich erinnere, gingen auf die Einladung ein, daran teilzunehmen, der Alttestamentler Peter Welten und der Religions- und Missionswissenschaftler Heinrich Balz.

Ein Folge: Prof. Balz bot im folgendem Semester ein Seminar zur Befreiungstheologie an, das mit ganz offiziellem Vermerk im Vorlesungsverzeichnis von StudentInnen mit geleitet wurde. Er ließ uns sehr frei Hand und arbeitet so mit, dass einige Studenten, die zu diesem Semester neu nach Berlin gekommen waren, erst in der dritten oder vierten Woche realisierten, dass der ruhige ältere Herr, der sich gelegentlich mit gezielten Fragen am Seminar beteiligte, eigentlich der das Seminar leitende Professsor war.

Im Zentrum stand natürlich die vorwiegend katholische lateinamerikanische Befreiungstheologie, aber wir warfen auch Blicke auf die evangelische Min Jung Theologie aus Süd-Korea und, als europäisches Beispiel, den Religiösen Sozialismus der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und hier kam das Abenteuer ins Spiel. Prof. Balz hatte wenige Monate nach der „Wende“ einen Lehrauftrag an der Kirchlichen Hochschule in Naumburg übernommen und auch dort mit seinen StudentInnen zum Religiösen Sozialismus gearbeitet.

Am 14./15. Juni 1991 waren wir mit unserer Seminargruppe in Naumburg, um gemeinsam mit unseren ostdeutschen Kommilitonen über den Religiösen Sozialismus zu reden. Ein echtes Abenteuer. Allein eine solche Zusammenarbeit zwischen einer Ost- und einer West-Institution war damals noch recht neu – und dann mit einem Thema, das zwischen Ost und West besonders heikel war. Für die kritischen West-StudentInnen war der Sozialismus immer auch eine kritische Messlatte, an der die Fehlentwicklungen der eigenen Gesellschaft gemessen wurden, und somit ein befreiender Hoffnungsschimmer, auch wenn man sich nicht selbst als Sozialist bezeichnet hätte. Die kirchlich gebundenen Ost-StudentInnen hatten mit dem Sozialismus dagegen die Erfahrung der systematischen Unterdrückung machen müssen. Sie, die mitten in den Sozialismus hinein geboren wurden, hatte nie die Situation erlebt in der Öffentlichkeit frei und unbefangen über ihre Gedanken und Einstellungen zu sprechen.

Ich glaube am Ende standen wir vor der Erkenntnis, dass die kritischen Fragen des Sozialismus an das kapitalistische Wirtschaftssystem tatsächlich Hoffnungspotenzial in sich tragen, dass aber ein sich selbst verabsolutierender Sozialismus fast zwangsläufig in eine repressive Diktatur der „richtig Denkenden“ über die „Noch-nicht-Verstehenden“ führen muss. Ein sich dem liebenden und barmherzigen Gott gegenüber verantwortlich wissender Sozialismus schien uns eine Option zu sein, das vom „real existierenden Sozialismus“ diskreditierte Wort Sozialismus neu zu beleben.

Norbert von Fransecky


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