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Artikel

Play Latin #5

O Lendário Chucrobillyman
Man Monkey
Off Label Records/ www.myspacecom/chucrobillyman
30:04 min
Garage Blues/ Brasilien
Oh Gott, der zweisprachige Name und das vom Musiker entworfene vibrierende Cover lassen Besonderes ahnen. Klaus Koti a.k.a. O Lendário Chucrobillyman nennt sich im Untertitel „Trash Tropical One Man Band Orchestra“, was es irgendwo trifft. Die zehnsaitige Viola-Gitarre, Schlagzeug und Müll(!) werden gleichzeitig bedient, wobei auf dem Album manchmal Overdubs mehrerer Gitarren zu hören sind. Und entsprechend dem Albumtitel spielt sich Chucrobillyman wie vom wilden Affen gebissen durch Garage Rock, Rockabilly, Boogie oder Delta Blues. Der Bottleneckguitar-Blueser ist dabei ein exzellenter Gitarrist, der gar an David Lindleys El Rayo X-Zeit erinnert. Die Grundriffs klingen aufgrund der Spielweise fast wie Loops. Die Stimme kommt etwas leise rüber, was daran liegt, dass hier durch eine angeschraubte Flüstertüte gesungen wird. Was der brasilianische (!) Blues-Punk jedoch drübergelegt, ist schnell, fetzig, rotzig, archaisch. Da trommelt’s wie im Urwald und eine geisterhafte Stimme lacht verzerrt aus dem Dschungel. Momentan hat er jedenfalls die beste Scheppergitarre im Universum.

Márcio Faraco
Cajueiro
World Village/ Harmonia Mundi
40:57
Brasilien MPB
Genau das Gegenteil von Chucrobillyman ist Márcio Faraco. Ziemlich unbekannt ist, dass es in Frankreich eine Garde hervorragender brasilianischer Musiker gibt, die fast immer aufhorchen lassen, verirrt sich mal eines ihrer Alben zu uns. Márcio Faraco ist einer von ihnen und er spielt nicht nur die Musik Brasiliens, sondern lässt klar erkennen, dass er in Frankreich wohnt. Da klingen ein Musette-Akkordeon und Gypsy Swing an und der dezente Gesangsstil hätte auch zu Chansons gepasst. Tatsächlich singt er auch einmal französisch. Stimmlich erinnert er an Gilberto Gils leise Balladen, vermittelt aber mehr Jazzfeeling. Eine seiner stärksten Melodien hat „Mundo Lelê“ mit seinem hüpfenden Rhythmus aus Bahia. Durch die butterweiche Klangwelt von Faraco streifen Wolken aus Samba, Xote, Folk und Jazz. Faszinierend, wie Faraco alle seine Anleihen in seinen Sound integriert. Sehr stimmig. Baden Powells Sohn Philippe sitzt übrigens seit Jahren am Piano an seiner Seite. Ansonsten passt Faraco in eine Reihe mit ebenso intelligent arrangierenden und dezenten brasilianischen Sängern/ Gitarristen wie Vinicius Cantuaria.

Bebel Gilberto
Tudo
Portrait/ Sony Music
42:24 min
Smooth Bossa

Betörende brasilianische Sängerinnen im luftigen Sommerkleid gibt es inzwischen viele. Da muss eine Sängerin wie Bebel Gilberto sich schon was einfallen lassen, um weiter an der Spitze des Smooth Bossas zu bleiben. Zumindest hat sie sich fünf Jahre für ihr neues Album „Tudo“ Zeit gelassen. Auffallend ist, dass sie sich noch reduzierter gibt. Wenn Elektronik, dann nur subtil wahrnehmbar und auch die brasilianische Rhythmik taucht eher verhalten auf. Dennoch ist ihr Kuschel-Bossa dann aber auch perfekt produziert: dezenter, federleichter Klang ist oberstes Gebot, dazu hingehauchter Gesang, alles zum Mitsummen geeignet. Manchmal treffen sich hier gar Bossa Nova und meditative Musik. Aber auch der Gestus ihres Vaters Joao Gilberto schwingt mit: „Nada Nao“ erinnert in seiner repetetiven Art und melodischen Einfachheit an dessen Klassiker„Bim Bom“. Und wenn sich Bebel mal an textlosen Gesang wagt,ist er eingebettet in glitzernde Keyboardklänge mit monotonem Rhythmus und gerät zu alles anderem als einem Scat-Solo. Höhepunkt ist jedoch ihre Version von Neil Youngs „Harvest Moon“. Melancholischer geht’s nun wirklich nicht - eine perfekte Interpretation mit sanft plätschernder Gitarre. Einziger Gastsänger ist Seu Jorge auf „Novas Ideas“, dessen tiefbassige Stimme einen gelungenen Kontrast zu Bebels ätherischem Gesang bildet. Insgesamt zwar keine Sensation mehr, aber durchaus intensiver als vieles aus der Bossa-Ecke.

Maria Bethania
Meus Quintais
Biscoito Fino/ mc-galileo
42:33 min
MPB Brasilien

Es ist das 51ste Album ihrer fast 50jährigen Karriere und eines ihrer besseren. Brasiliens Gesangs-Diva Maria Bethania hat mit „Meus Quintais“ ein abwechslungsreiches Album geschaffen, abseits jeglicher Modeströmungen. Meist braucht sie nur ihre Stimme und ein Begleitinstrument. Da haben die schnelleren, rhythmischen Stücke schon Aufweckcharakter. Auf jedem ihrer Alben ist zudem mindestens eine Gänsehautnummer, so auch hier: „Imbelezô/ Vento De Lá“ - harte, dumpfe Perkussion begleitet ihren intensiven Gesang oder erst recht „Uma Iara/ Uma Perigosa Yara“ - supermelancholisch gesungen und mit Dobro begleitet. Musik wie ein perfekter Sonnenuntergang.

Jagun
Camburi
Galileo-MC
64:17 Min
Brasil Jazz

Die Berliner Jazz-Sängerin Eva Jagun verschlug es mit ihrer Band Jagun ins brasilianische Camburi. Den brasilianischen Einfluss hört man deutlich in der ansonsten eher von deutschem Jazz geprägten Musik. Für die intensive und temporeiche Brasil Music wirkt Jaguns Stimme zu zart, der musikalische Ansatz verkennt zudem den Unterschied zwischen „beschwingt“ und „melancholisch“, was der brasilianischen Art näher ist. Jagun hat ihre Stärken eher im Balladesken und wenn sie da ihre Stimme doppelt oder mit Streichern arbeitet, passt das Konzept. Insgesamt krankt das Album aber an fehlenden wirklich ergreifenden Höhepunkten.

Black Roots
Ghetto Feel
Soulbeats Records/ Broken Silence
Roots Reggae

Ja, es gibt sie noch. Oder wieder. Die britische Roots Reggae-Band Black Roots wurde in den Siebzigern in Bristol gegründet und klingt auch sehr danach. Reggae, als wäre die Zeit stehen geblieben inklusive fiepsiger Fuzzgitarre. Die Band hat ab und zu einen Calypso-Einfluss in der Melodik, womit sie noch am besten rüberkommt. Ihr Album /i>„Ghetto Feel“ zu nennen, passt nicht so recht zu ihrem relativ harmonischen Sound, der schon manchmal den Lovers Rock streift.

DJ Tudo e Sua Gente de Todo Lugar
Pancada Motor, O Manifesto da Festa
Far Out Recordings
Brasilien/ Ethno Beat

Das englische Far Out-Label ist in Europa eines der wegweisenden Firmen im Bereich brasilianischer Musikproduktionen. Immer wieder wagt man sich dabei auch an unkonventionelle Musik. Der brasilianische Musiker Alfredo Bello aka DJ Tudo sammelt traditionelle Feldaufnahmen mit Rhythmen und Gesängen aus dem Nordosten des Landes, loopt sie und versetzt sie mit Bläsersätzen, Gitarren und Studioeffekten. Auf seinem neuen Album arbeitete er dabei mit Dub-Legende Mad Professor zusammen. Dadurch entstand eine Nähe zur Musik des brasilianischen Clubsound-Pioniers Chico Science und seiner Band Nacao Zumbi. Manchmal hängen die Stücke allerdings zu lange am Loop, wagen keine Tonartwechsel oder Breaks. Das machen die eingebauten Instrumentalsoli nur zum Teil wett. Trotzdem faszinieren die psychedelischen und teils jazzigen Improvisationen.

Edward Simon & Ensemble Venezuela
Venezuelan Suite
Sunnyside/ harmonia mundi
37:44 Min
Latin Jazz/ Venezuela

Der in Florida lebende venezolanische Jazzpianist Edward Simon entwickelt seinen Jazz anhand der Musik seiner Heimat. Manchmal werden im komplexen und temporeichen Synchronspiel seines Ensembles Erinnerungen an die Musik von Hermeto Pascoal wach. Und wenn die Spieler der Cuatro (kleine viersaitige Gitarre) und der Harfe oder der Drummer in Fahrt kommen, wird es atemberaubend, doch langt das nicht, um insgesamt den etwas zu konventionellen improvisatorischen Umgang mit den venezolanischen Melodien zu übertünchen.


Miriam Aida
E De Lei
Connective Records/ Broken Silence
44:58 min
Brasilien/ Schweden: MPB

Die in Schweden lebende brasilianische Jazzsängerin Miriam Aida wagt sich hier an die legendären Afro-Sambas von Baden Powell und Vinícius de Moraes. Während es von vielen der Stücke wie „Canto de Ossanho“ von Powell Einspielungen gibt, die meist nur mit Gitarre, Percussion und Bass auskommen, wird hier ein ganzes Orchester mit Streichern, Flöten und Chor eingesetzt. Die oft archaische und hypnotische Stimmung der Originale steht bei Aida nicht so im Vordergrund wie die Melodie der Stücke. Der weibliche Gesang und die Arrangements lassen die Stücke nicht melancholisch wie bei Powell, sondern überraschend fröhlich wirken mit einer eigenen Strahlkraft. Man versucht auch nicht, Powells begnadeten Gitarrenkünsten zu konkurrieren oder irgendwelche zeitgeistkonformen Sounds einzubauen. Baden Powell spielte jedoch etliche Stücke ebenso mit Orchester und Chor ein, woran sich die Neuinterpretation eher orientiert. Aida gelingt eine neue Wahrnehmung der Stücke, die einem gewahr macht, welche zeitlose Kompositionen hier einst geschaffen wurden, die den so oft interpretierten Klassikern von Tom Jobim in nichts nachstehen.

Guinga
Roendophinho
Acoustic Music/ Rough Trade
47:31 min
Brasilien/ Instrumental
Der brasilianische Akustik-Gitarrist Guinga gilt in Fachkreisen als Erneuerer, der insbesondere harmonisch experimentiert. Er hat einen sanften Anschlag, ist kein Showman des Virtuosen. Dabei erweckt er aber zu sehr den Eindruck von bloßen Fingerübungen, was es nicht leicht macht, beim Hören das Thema zu erfassen. Insofern wirkt er fast wie das Gegenteil zu Gitarristen wie den eben erwähnten Baden Powell, zumindest bei dessen Afrosambas. Am stärksten wirken noch seine spirituellen Stücke mit textlosem, dahin gehauchtem Gesang. Dies hat nichts mit dem verbreiteten, scat-verwandten Gesang vieler Kollegen zu tun. Ansonsten dürfte die Wirkung des Albums auf den Kreis der Gitarren-Afficionados begrenzt bleiben.

Hans-Jürgen Lenhart


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