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Celeste: Dunkelheit, Gewalttätigkeit und Dissonanz - Faszinierendes aus Lyon

Info

Gesprächspartner: Celeste

Zeit: Februar 2014

Stil: Noise-/Postcore, Black Metal

Internet:
http://www.weareceleste.com
https://www.facebook.com/celesteband

Wenn es um extreme Musik geht, tauchte in den letzten Jahren immer wieder ein Name auf: Celeste. Das aus Lyon stammende und einst als Hardcore-Band gegründete Quartett zeigt sehr anschaulich wie intensiv Musik klingen kann. Mit ihrer originären Mischung aus Hardcore, Post, Sludge und seit der letzten Veröffentlichung auch mehr und mehr Black Metal, erzeugt die Band einen regelrecht erschreckend düsteren und schweren Sound. In einem Zeitraum von drei Jahren veröffentlichten Celeste drei Alben. Das schien wohl selbst an den Nerven der Musiker zu zehren. Für den neuesten Streich Animale(s) ließ man sich etwas mehr Zeit. Was dabei heraus kam, setzte der Bandgeschichte die Krone auf: ein auf zwei CDs bzw. Vinyl-Scheiben verteilter, rund 70-minütiger Orkan. Dieses Mal sogar ein Konzeptalbum. Das machte neugierig, etwas tiefer in das Wesen der Band einzutauchen, die ausschließlich in ihrer Muttersprache singt und sich nicht nur mit ihrem Sound zwischen die Stühle setzt, sondern sich auch aufgrund der künstlerischen Gestaltung ihrer Artworks von der Konkurrenz abhebt. Sänger Johan, Schlagzeuger Royer und Gitarrist Guillam gaben bereitwillig Auskunft.




Wörtlich übersetzt bedeutet Celeste so etwas wie himmlisch. Dies und eure ruhigen, schönen Artworks stehen im kompletten Widerspruch zu eurer Musik und der Atmosphäre, die sie erzeugt. Wollt ihr damit die Leute bewusst ein wenig verwirren?

Royer: In gewisser Weise hast du recht. Aber in erster Linie wollten wir einen Bandnamen, der französisch klingt und sich nicht nach einer typischen Metalband anhört. Celeste bezieht sich auch auf das Universum und Worte wie dunkel, atmosphärisch, kalt und tödlich kann man ebenso daran anlehnen. Was unsere Musik betrifft, schien Celeste ein guter Name, der uns gut definieren könnte und gleichzeitig auch wieder nicht, da das Universum auch unbekannt und extrem ist. Aber wie du schon sagst, mochten wir auch die Idee, dass das Wort Celeste nett, schön und melancholisch klingt und es die Leute überrascht, wenn sie unsere Musik das erste Mal hören.

Warum habt ihr euch dazu entschlossen in eurer Muttersprache zu singen? Einfach weil es dadurch simpler ist sich auszudrücken oder auch wegen des Klangs und der Rhythmik der französischen Sprache?

Johan: Beides, würde ich sagen. Ich spreche Englisch eigentlich recht gut. Aber was ich von Englisch weiß, ist vielleicht 5 % von dem was ich im Französischen weiß. Es wäre ziemlich schwer für mich mit den Worten in Englisch so zu spielen, wie ich es jetzt tue. Ich bin mir nicht mal sicher, ob jeder in Frankreich meine Botschaft versteht. In einer anderen Sprache würde es wohl komplett an den Leuten vorbei gehen. Und ich denke auch, dass es schwer ist mit voller Inbrunst zu singen, wenn du es nicht in deiner Muttersprache tust.

Ich mag eure Artworks sehr. Ich bin recht gelangweilt von den typischen Bandfotos und Photoshop-Arbeiten, die man sonst so zu sehen bekommt. Weiter heben euch eure Texte von anderen Gruppen in der Metal- und Hardcore-Szene ab. Ist Celeste als eine Art Gesamtkunstwerk angelegt?

Guillaume: Seit Anbeginn der Band managt Johan alles was mit Artworks zu tun hat. Und er war stets sehr bemüht, etwas zu schaffen das möglichst schick, einzigartig und zeitlos aussieht. Er ist sehr kritisch was Fotografie und Dinge wie Komposition, Licht, Kontrast, Körnung und ähnliches betrifft. Natürlich fordert ihn das sehr heraus. Aber seine hohen Ansprüche und sein Engagement erlauben uns, derart starke und einmalige Visuals zu veröffentlichen. Du hast nicht unrecht, wenn du von einem Gesamtkunstwerk sprichst. Wir sind sehr darum bemüht, dass alles stimmig wirkt. Celeste ist etwas Ganzes und wir machen fast alles selbst. Dieser Ansatz sorgt dafür, dass wir anhand unserer Liveauftritte, dem Sound unserer Alben und dem Artwork diese starke Identität erzeugen können.

Eure Texte haben bisher Dinge wie Vergewaltigung, Inzest, Krieg, Religion, Pädophilie und ähnliches behandelt. Was ist an dieser Negativität und Düsternis derart anziehend, dass ihr eure Musik komplett diesen Dingen widmet?

Johan: Wenn man unsere Musik hört, ist es ziemlich offensichtlich, dass positive Dinge darin keinen Platz finden könnten. Das bedeutet aber nicht, dass alles rabenschwarz sein muss. Aber die Tiefe meiner Arbeit sollte von dunklen Themen her rühren - definitiv. Ob es anziehend ist? Ich weiß es nicht. Aber zweifelsohne ist es interessant. Wenn du dir dummen Scheiß oder positive Musik anhören möchtest, schnapp dir etwas Popmusik und erfreue dich daran. Wenn du dich selbst in Frage stellen und bei dem was du hörst unbehaglich fühlen willst, dann gib unseren Texten eine Chance.

Wie versetzt ihr euch in die richtige Stimmung, um Sachen für die Band zu schreiben? Ich hoffe Albentitel wie Nihilist(s), Pessimist(s) und Misanthrope(s) repräsentieren nicht euer persönliches Gemüt.

Royer: Tatsächlich kommt alles von selbst. Wir mögen diese Stimmung - in musikalischer Hinsicht. Wir mögen bestimmte Arten von Melodien, Sounds und Atmosphären. Deswegen ist es ziemlich natürlich. Wir wissen, was wir wollen. Was uns als Personen betrifft, bringen wir wohl manchmal nur zu Papier was jeder denken könnte, aber niemand ausspricht. Wir haben im wahren Leben mitbekommen wie schlecht, egoistisch oder einfach ärgerlich Menschen sein können. Wir sprechen es einfach aus.

Diskografie

Pessimiste(s) [EP, 2007]
Nihiliste(s) [2008]
Misanthrope(s) [2009]
Morte(s) Née(s) [2010]
Animale(s) [2013]
Zwischen Animale(s) und Morte(s) Née(s) liegt die längste Veröffentlichungspause in der Bandgeschichte. Warum dieser lange Abstand?

Guillaume: Nach vier Alben in vier Jahren war es ziemlich schwer neue Inspiration zu finden. Von Pessimiste(s) zu Morte(s) Née(s) wollten wir hauptsächlich dunkler, gewalttätiger und dissonanter werden. Somit hatten wir eine Vorgabe. Das fünfte Album wollten wir allerdings anders angehen. Also haben wir uns ein Jahr Zeit genommen um unseren Geist zu säubern und viele Konzerte zu spielen. Als wir dann an neuem Material arbeiteten, haben wir uns entschlossen künftig mit zwei Gitarren zu arbeiten. Das war eine große Herausforderung, aber auch eine gute Möglichkeit herauszufinden, was Celeste auch sein könnte. Also nahmen wir uns viel mehr Zeit um einen Songs auszuarbeiten. Die größte Entwicklung ist, dass wir komplexer spielen. Nach Jahren kannst du immer noch versteckte Melodien entdecken.

Wie entsteht neue Musik von Celeste? Seid ihr eine Art „Jam-Band“ im Proberaum?

Guillaume: Anfangs arbeite ich meist alleine, um Melodien zu schreiben und der Struktur eines Songs eine gewisse Richtung zu geben. Dann zeige ich es den anderen, frage nach ihrer Meinung und bitte um ein paar Ideen, um es zu verbessern. Wir improvisieren niemals in unsrem Proberaum. Bei Animale(s) war es ein wenig anders, da Antoine und Johan drei Songs der Platte selbst schrieben.

Animale(s) klingt für mich gesangsorientierter als seine Vorgänger. Waren die Texte dieses Mal wichtiger als früher?

Guillaume: Ja, das ist richtig. Beim Mix versuchten wir für den Gesang einen guten Platz zwischen all den Instrumenten zu finden. Bei unseren ersten Platten hatten wir die Stimme bewusst etwas weiter nach hinten gerückt. Aber nach der Veröffentlichung von Morte(s) Née(s) war Johan etwas frustriert, dass man die Texte kaum hören konnte. Einige - unter anderem ich - waren skeptisch, aber wir mussten einen Kompromiss finden. Es ist gut wie wir den Gesang untergebracht haben und ich bereue diese Entscheidung nicht. Es trägt seinen Teil zur Entwicklung von Morte(s) Née(s) zu Animale(s) bei.

Das Album behandelt eine dunkle Geschichte von einem Jungen und einem Mädchen. Johan, kannst Du unseren Lesern, die nicht Französisch sprechen, vielleicht etwas über die Reise dieser beiden jungen Leute bis zum tragischen Ende der Erzählung erzählen?

Johan: Nun, ich will nicht zu tief ins Erklären meiner Texte einsteigen, da ich möchte, dass sie die Leute zuerst lesen und dann versuchen, sie zu verstehen und sich vielleicht ihren eigenen Reim darauf machen. Natürlich sind sie auf Französisch, so dass es frustrierend für unsere Fans sein kann, die diese Sprache nicht sprechen. Aber damit müssen wir klarkommen. Wie man bereits anhand des Covers erkennen kann, handelt die Geschichte von einem Mädchen und einem Jungen. Es geht um ihre dunkle „Liebes“-Geschichte. Wie man sich vorstellen kann, endet das Ganze nicht allzu gut. Es dreht sich darum, wie hart die Jungend für manchen sein kann. Und irgendwie auch, wie uns unsere Instinkte uns fehlleiten können.

In einem früheren Interview habt ihr schon einmal gesagt, dass ihr von Platte zu Platte immer dunkler und extremer werden wollt. Aber ist das überhaupt noch möglich, nachdem ihr die Messlatte mittlerweile ziemlich hoch angelegt habt und ihr immer mehr Richtung Black Metal drängt?

Royer: Das ist lustig, denn wir selbst stellen uns diese Frage ebenfalls. Um ehrlich zu sein, wissen wir es nicht. Wir wollen immer mehr, aber wie du schon sagtest, dürfte irgendwann eine Grenze erreicht sein. Als wir Animale(s) schrieben, dachten wir, dass es unmöglich ist, etwas zu machen das dunkler, gewalttätiger und heavier ist. Aber unser Publikum teilte uns mit, dass wir bestanden haben. Vielleicht schaffen wir es auch wieder… oder auch nicht, wer weiß. Aber eines ist sicher: es war ziemlich schwer und viel Arbeit und wir hatten ein wenig Angst davor, was die Leute von unserer neuesten Veröffentlichung halten werden. Was das Thema Black Metal betrifft: das trifft sicher zu. Aber bedeutet Black Metal automatisch dunkle Musik? Ich bin mir nicht sicher. Ich sage eher, dass wir versuchen wirklich dunkle und böse Musik zu machen, und dass wir versuchen die Stimmung immer so extrem werden zu lassen, wie wir können oder möchten.

Bisher habt ihr eure Veröffentlichungen immer auf der Homepage eures Label Denovali Records als kostenloser Download angeboten. Mittlerweile tut ihr das nur noch als Stream. Warum dieser Schritt zurück - wart ihr vielleicht etwas frustriert, dass die Leute keinen freiwilligen Obolus dafür abgedrückt haben?

Guillame: Wir haben wirklich kein Problem mit dem Verkauf unserer Platten. Jedes Album wurde sogar mehrfach neu aufgelegt. Ich kann nicht behaupten, dass es ein Schritt zurück ist. Aber in Abstimmung mit Denovali haben wir vereinbart Animale(s) als Download für 5 € anzubieten, da wir viel Geld in die Aufnahme und den Mix des Albums investiert haben. Wir denken, dass einige Leute bereit sind, uns mit diesem Betrag zu unterstützen. Sie bekommen dafür auch die MP3s in einer guten Qualität. Und überhaupt: wer es umsonst herunter laden möchte, sollte einfach mal Google fragen.



Mario Karl


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